Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
erhaschen. Vergeblich. Er richtete sich wieder auf. Seine Nackenmuskeln schmerzten. Drinnen schien alles in bester Ordnung zu sein. Der gute alte Gerald hatte sich also offenbar umsonst Sorgen gemacht. Andererseits hatte er, Rex, ihm ausdrücklich versprochen ...
Genau in diesem Augenblick des Zögerns überkam Rex plötzlich das unangenehme Gefühl, nicht mehr allein zu sein, einen bohrenden Blick zwischen seinen Schulterblättern zu spüren. Er drehte sich um.
Hinter ihm säumten hohe Bäume und dichte Büsche die Grundstücksgrenze. Rex faßte seinen Stock fester und ging auf den Zaun zu. Angestrengt versuchte er, die dunklen Schatten mit Blicken zu durchdringen und rief:
»Hallo? Wer da?« Stille. Nichts regte sich. »Ist da jemand?«
Rex hörte nur den Wind und den eigenen Atem. Aber er wußte und fühlte so sicher wie den gefrorenen Boden unter seinen Füßen, daß sich dort jemand oder etwas verborgen hatte ... und ihn beobachtete.
* MIDSOMER-WAHN
Tom Barnaby vermißte seine Tochter. Cully war mit Viel Lärm um Nichts auf Tournee in Osteuropa. Die Kulturbehörde sponserte das ganze Unternehmen. Cully spielte die Beatrice, während Nicholas, seit achtzehn Monaten ihr Ehemann, für die interessante, aber wesentlich kleinere Rolle des Don John besetzt war. Nach einem Jahr bei der Royal Shakespeare Company waren die Rollenangebote ausgeblieben, von denen er insgeheim träumte.
Noch am Abend vor der Abreise war das junge Paar bei den Barnabys gewesen. Tom, der Nicholas gut und seine Tochter natürlich sehr gut kannte, hatte bereits Wolken am jungen Ehehimmel aufziehen sehen. Nicholas war hin- und hergerissen zwischen dem Stolz auf den Erfolg seiner Frau einerseits und der Enttäuschung über die unterschiedliche Entwicklung ihrer Karrieren andererseits. Was die Sache noch komplizierte, war die Tatsache, daß Cully erst vor kurzem The Crucible, eine anspruchsvolle BBC-Produktion, abgedreht hatte, die während ihres Aufenthaltes in Osteuropa gesendet werden sollte.
Natürlich hätte Nicholas Viel Lärm um Nichts ablehnen, in London bleiben und auf ein besseres Angebot warten können. Aber er wollte, wie er seinem Schwiegervater anvertraute, Cully auf keinen Fall mit einem halben Dutzend Schauspielern durch halb Europa reisen lassen. Nicholas und Barnaby hatten dabei im Wintergarten gesessen und eine Flasche guten Rotwein getrunken. Und Barnaby hatte die Bedenken des Gatten seiner bezaubernden Tochter nur zu gut verstanden.
Vieles war dabei keine Frage des Vertrauens, sondern lag eher in Nicholas' Unsicherheit begründet, der sein Glück mit Cully noch immer kaum fassen konnte.
Mittlerweile waren die beiden fast zwei Wochen unterwegs, hatten den Barnabys allerdings ein Memento hinterlassen - in Person eines entzückenden Russisch-Blau-Kätzchens mit Namen >Kilmowski<. Cully und Nicholas hatten sich den kleinen Kater vor dem Tourneeangebot zugelegt. Während zumindest Joyce über den neuen Gast im Haus entzückt war, betrachtete Barnaby das Tier als eine verschärfte Zumutung. Er konnte sich nirgendwo mehr setzen, keine Tür mehr öffnen, ohne daß seine Frau laut aufschrie, weil er sich nicht vergewissert hatte, daß Kilmowski in Sicherheit war. Am Vortag hatte er vom Independent auf dem Türvorleger nur Fetzen vorgefunden. Die Krönung war jedoch gewesen, daß zu guter Letzt wundersamerweise noch Katzenpisse darauf gelandet war.
So als wären die Abwesenheit seiner Tochter und die Gegenwart des jugendlichen Katerrowdys nicht schon genug gewesen, mußte Barnaby sich zu allem Überfluß darüber hinaus mit einer Diät herumquälen. Vom Naturell her immer schon ein Schwergewicht, hatte er vor einigen Jahren auch noch seine Liebe zum Kochen entdeckt. Zuerst war das eigentlich aus purer Notwehr entstanden, denn die Kochkünste seiner Frau waren wirklich haarsträubend. Es war sogar schon vorgekommen, daß sich zum Essen geladene Freunde ihre Mahlzeit lieber selbst mitgebracht hatten.
Barnaby war seither der Kochkunst verfallen wie die Ente der Orangensoße. Dabei hatte er nach Jahren des Konsums von Undefinierbarem in Begleitung mit Magentabletten festgestellt, daß er den Gaumen eines Königs besaß. Sein Pech nur, daß sein Appetit ebenfalls königlich war.
Auch ein Mann mit dem Gardemaß von einem Meter neunzig schleppt nicht ungestraft hundert Kilo mit sich herum. Bei seinem letzten Arztbesuch hatte man ihn gewarnt, er müsse mindestens fünfzehn
Weitere Kostenlose Bücher