Instinkt
stammen von Lee?«
Er wirkte plötzlich verletzlich, und wider meinen Willen tat er mir sogar leid, so wie mir auch Kent leidgetan hatte, als sie ihn zusammengeschlagen und in den Keller hinuntergetreten hatten. Ich musste mich daran erinnern, was Wolfe meinem Bruder angetan hatte.
»Ich nehme an, als sie mich im Keller hat kämpfen hören, ist sie geflohen. Wahrscheinlich ist sie schon auf halbem Weg nach London.«
»Ich würde sie ja anrufen, aber wir sitzen hier in einem beschissenen Funkloch.«
»Genau deshalb wird sich Alpha dieses Haus ausgesucht haben.«
»Was soll das heißen?«
»Damit wir nicht um Hilfe telefonieren können.«
Wolfe schüttelte den Kopf. »Ach Bullshit. Du wirst paranoid.«
»Tja, wir haben zwei tote Männer, der Kerl, den wir entführt haben, ist verschwunden, und jemand – keine Ahnung wer – hat gerade versucht, auch mich umzubringen. Und wenn du mich fragst, ist das nicht Lee, die da oben Geräusche macht. Ich glaube, sie ist abgehauen.«
»Aber wenn sie es doch ist? Wenn der Typ, der dich umbringen wollte, sie erwischt hat und sie nicht antworten kann?« Er schwieg einen Moment. »Ich geh da rauf. Kommst du mit?«
Ich sah hinauf in die Dunkelheit und dachte nach. »Okay«, sagte ich schließlich. »Du hast die Pistole. Du gehst vor.«
Der Weg nach oben war mühselig und relativ geräuschvoll, weil die Stufen fast bei jedem Schritt knarrten. Oben blieb Wolfe stehen und sah sich vorsichtig um. Zu unserer Rechten gab es zwei Türen, die beide geschlossen waren. Links erstreckte sich ein Flur, von dem mehrere, ebenfalls geschlossene Türen abgingen, darunter auch die, hinter der ich gefangen gehalten worden war. Am Ende des Flurs befand sich ein hohes Fenster.
Wolfe wandte sich nach rechts. Dann blieb er stehen. Er hatte etwas gehört, das aus einem der Zimmer auf den Flur hinausdrang.
Ich hatte es ebenfalls gehört: ein schreckliches Gurgeln, wie von jemandem, der verzweifelt durch den Mund zu atmen versucht, aber durch eine Flüssigkeit in Mund, Nase und Kehle daran gehindert wird.
Wolfe sah mich an, die Furcht in seinen Augen war unverkennbar. Er wusste es, genau wie ich es wusste. Wir hörten, wie jemand starb.
SIEBENUNDDREISSIG
Laut Lees Namen rufend, rannte Wolfe, ohne sich um die Gefahr zu scheren, den Flur hinunter.
»Scheiße Mann, lass das sein!«, rief ich ihm hinterher, aber er hörte mich nicht. An einer Tür etwa in der Mitte des Flurs blieb er stehen und trat sie ohne zu zögern auf.
»Oh Gott, Lee, Baby!«, schrie er gequält auf und stürmte ins Zimmer.
Ich war etwa fünf Meter hinter ihm und bewegte mich wesentlich vorsichtiger, doch als ich ihn nicht mehr im Blick hatte, rannte ich ihm nach, um ihm den Rücken zu decken. Allerdings war mir auch klar, dass, wenn Lee das Opfer war, sich der Killer höchstwahrscheinlich noch im Zimmer befand, denn er hatte ja keine Gelegenheit gehabt, ungesehen zu verschwinden.
Noch bevor ich die Tür erreichte, wurden meine Befürchtungen bestätigt. Wolfe stieß einen scharfen Schmerzensschrei aus und torkelte zurück auf den Flur, mir entgegen. Mit der freien Hand versuchte er, sich an der gegenüberliegenden Wand abzustützen. Aus seinem Brustkorb ragte das Heft eines Messers, und auf seinem blauen Overall zeichnete sich bereits ein dunkler Fleck ab. Er sah mich mit einer Mischung aus Furcht und Verwirrung an, als weigerte er sich zu glauben, was mit ihm geschah. Die Sig glitt ihm aus der Hand und fiel klappernd zu Boden. Wieder wollte er sich am Türrahmen festklammern, doch er fiel wie in Zeitlupe nach vorne auf ein Knie, die Augen noch immer starr auf mich gerichtet. Sein Mund öffnete und schloss sich, als versuchte er verzweifelt, mir etwas zu sagen.
Er war zwei Meter von mir entfernt. Die Pistole lag auf dem Boden, direkt vor der Tür zu dem Zimmer, aus dem das immer lauter werdende Gurgeln kam.
Instinktiv tauchte ich danach, um sie aufzuheben.
Doch ich hatte keine Chance. Ein Schatten tauchte im Rahmen auf, eine Hand schoss hervor und packte mich an meinem Overall und riss mich mit beängstigender Kraft hoch. Aus dem Augenwinkel erkannte ich dabei, dass hinter dem Angreifer jemand halb sitzend, halb liegend an der Wand lehnte. Das Gesicht konnte ich nicht erkennen, es war eine einzige blutige Masse, aber der rosafarbene Schmetterling auf dem T-Shirt sagte mir, dass es Lee sein musste.
Ich hatte noch das Messer in der Hand und stach blindlings zu, der Angreifer riss mich bereits von der Pistole weg, im
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