Invasion der Götter
Aufforderung derart klar vernommen zu haben, dachte sich jedoch nichts weiter dabei. Unsicher übertrat Jonathan die Schwelle und sah sich eingeschüchtert um. Der Raum war in ein nur schwaches Licht getaucht. Die Wände waren voll von Konsolen und holografischen Monitoren, auf denen Bilder und komplexe Analysedaten zu sehen waren. Jonathan war sich nicht sicher, doch er vermutete, dass es sich dabei um Genstränge handelte. Zumindest hatten sie diese schlangenartigen Formen und die typischen Querverbindungen. In der Mitte des Raumes dominierte eine kreisrunde Plattform, die etwa einen Meter fünfzig hoch war und drei Meter im Querschnitt maß. Darüber schwebte eine sowohl drei- wie überdimensionale Abbildung eines Menschen und wiederum analytische Daten in einer gänzlich unbekannten Sprache. Aufgrund der Reizüberflutung, die in diesem Moment über Jona hereinbrach, hätte er beinahe den Mann übersehen, der hinter der Plattform an einer erhöhten Bedienerkonsole stand. Wie alle anderen auf diesem Raumkreuzer war auch er hellhaarig. Seine weiße, aufwendig bestickte Robe reichte bis an den Boden und verbarg die Füße gänzlich unter dem fließenden Stoff.
»Tritt näher, Jonathan Blanchard.«
»Wer seid ihr?«, fragte Jona vorsichtig. »Und wo befinde ich mich hier?«
»Da dir dieser Name am geläufigsten sein dürfte, kannst du mich Enki nennen, und du befindest dich in der orbitalen Umlaufbahn zu eurem Planeten, auf dem wohl größten und eindrucksvollsten Schiff meines Volkes.«
Jonathan stockte für einen Moment der Atem, doch nicht, weil er soeben erfahren hatte, dass er sich auf einem Raumschiff im All befand. Vielmehr ergriff ihn die Tatsache, dass er vor einer Person stand, die den Namen eines sumerischen Gottes aus deren Schöpfungsgeschichte trug.
»Bist du der Enki? Jener, welcher die Menschen erschaffen hat?«
»Das ist einer der vielen Namen, unter dem ich euch bekannt sein dürfte – doch weckt das Wort ›erschaffen‹ vielleicht falsche Vorstellungen. Auf eurem heutigen Wissensstand dürfte die Tatsache zu begreifen sein, dass ich ein Genetiker bin und eine neue Art nicht etwa auf eine magische oder gar mysteriöse Weise entstehen ließ. Auch wenn sie der euren noch immer um Jahrhunderte voraus ist, handelt es sich dennoch um reine Wissenschaft.«
»Wenn du wirklich Enki bist, dann müsstest du inzwischen weit über fünftausend Jahre alt sein. Wie aber ist das möglich?«
»Dafür habe ich mich gut gehalten, oder?«, entgegnete Enki lachend. »Nach eurer Zeitrechnung müsste ich inzwischen mehrere hunderttausend Jahre alt sein. Dies mag ein zusätzlicher Faktor dafür gewesen sein, dass sich ein Götterbild in den Köpfen der Menschen manifestierte. Gemessen an unseren Lebensspannen, mag euch die eure wie die einer Fruchtfliege vorkommen. Doch die Wahrheit ist, dass unsere Körper ebenso altern, zwar nicht so rasant wie die euren, und unsere fleischlichen Hüllen sind auch lange nicht so anfällig für Krankheiten und Gebrechen, dennoch können auch wir sterben. Bevor dies jedoch geschieht, setzen wir einen Prozess in Gang, der unser Bewusstsein in einen anderen Körper transferiert. Dabei werden Unmengen von Daten, Erinnerungen und Erfahrungen in die neue Hülle übertragen. So ist wahrscheinlich auch der irdische Mythos des Jungbrunnens entstanden, da dieses Gerät und die überspringenden Seelen stark an einen Brunnen und fließendes Wasser erinnern.«
Jonathan war sichtlich überrascht über diese Enthüllung. Es war sicherlich nachvollziehbar, dass die Menschen damals dies nicht verstanden haben und daher diese Wesen als etwas Höheres ansahen. Was sie auch waren – sie waren keine Götter, dennoch war Jona davon überzeugt, dass daraus das Bild des einen Gottes resultierte.
»Ich war mir darüber im Klaren, dass die Anunnaki fortschrittlich sind, doch dies ist auch für mich geradezu fantastisch.«
Enki sah Jonathan erstaunt an.
»Hast du uns eben als die Anunnaki bezeichnet? Diesen Namen habe ich schon sehr lange nicht mehr gehört. Dies ist wohl ebenso ein Irrglaube, der sich über die Jahrtausende hinweg verbreitet hat. An-un-na-ki heißt nichts anderes als ›Die von An Gesandten, um die Erde zu bevölkern‹ – frei übersetzt natürlich. Dies ist also nicht der Name unserer Spezies. Wir nennen uns Dingir.«
»Interessant!«, sagte Jona, nun weniger verblüfft. »Dingir wurde in den Texten immer als Gott oder Götter übersetzt. Aber warum sollte mich das überraschen?
Weitere Kostenlose Bücher