Irgendwann ist Schluss
groß gewachsen, Dreitagebart, liest Zeitung und hat dabei die Beine übereinandergeschlagen. Auf dem Stuhl rechts neben ihm steht ein Metallkoffer.
»Entschuldigung!«, sagt Evi.
Der Mann knickt die Zeitung und schaut auf.
»Es hat da leider ein Missverständnis gegeben … Normalerweise speist in diesem Raum … also dienstags … Wir haben irrtümlich das Séparée …«
»Hören Sie auf zu stottern!«, ruft Koller.
»Darf ich Ihnen Herrn Koller vorstellen?«, sagt Evi.
Der Mann legt die Zeitung weg, steht auf, reicht Koller die Hand, und Koller schlägt ein.
»Storch!«, sagt der andere.
»Wie bitte?«
»Storch. Torge Storch.«
»Herr Storch«, sagt Evi, »ob es wohl möglich wäre, dass Herr Koller an Ihrer Tafel gegenüber Platz nimmt? Eigentlich ist der Tisch hier, im Séparée, am Dienstag für ihn reserviert, und es gab heute …«
»Kein Problem«, sagt Torge. »Setzen Sie sich, Herr Koller.«
Koller nickt kurz zu Torge und murmelt dann in seinen Bart: »Mein Gott. Er kann ja nichts dafür.«
»Wie bitte?«, fragt Torge.
»Ich sagte, ich kann jetzt nirgendwo noch einen akzeptablen Alternativtisch finden. Karte! Aperitif! Einen Sherry! Den 68er!«
»Für mich dasselbe«, sagt Torge.
»Sie haben noch nicht bestellt?«, fragt Koller.
»Gerade erst gekommen.« Torge greift wieder zur Zeitung.
Erwin Koller dreht sich hin und wieder zur Tür um. Dann zieht er sein Notebook aus der Aktentasche, will es öffnen, mustert Torge misstrauisch, steckt das Notebook wieder ein, macht eine wegwerfende Geste. Jetzt sucht er etwas auf dem Tisch. »Wo ist meine Zeitung?«, ruft er nach hinten, als könne Evi ihn durch die Tür hindurch hören.
»Entschuldigung«, sagt Torge. »Die hier lag auf dem Tisch. Möchten Sie …?«
»Nein, lassen Sie nur. Ich warte.«
Evi bringt vorausschauend eine zweite Zeitung, die Karten und den Sherry. Sie wird begleitet von einer Bedienung, die Kollers Platz eindeckt. Koller und Torge sehen die Karten durch, Koller bestellt das Perlhuhn, Torge die Ente. Dann faltet Koller seine Zeitung auf.
Minuten vergehen.
Beide lesen.
Plötzlich lacht Torge auf und sagt, die Welt gehe unter. Als Koller ihn fragend anblickt, erzählt Torge von dem Interview im Wissenschaftsteil. In Genf, im CERN , beschleunigen sie kleinste Teilchen auf annähernd Lichtgeschwindigkeit. Bald werden dadurch Mini Black Holes entstehen, kleine Schwarze Löcher. Harmlos, sagt man, denn die sind so winzig, dass sie gleich wieder zerfallen. Und jetzt gibt dieser Rösler ein Interview im Wissenschaftsteil, ein Chaosforscher, der behauptet: Irgendwann wird zwangsläufig ein Schwarzes Loch entstehen, das nicht zerfällt. Wenn aber nur ein einziges Mal ein Schwarzes Loch bleibt und sich nicht wieder in Nichts auflöst, dann ist das gleichbedeutend mit dem Ende der Welt. So ein Schwarzes Loch verleibt sich alles ein, was in seiner Nähe ist, es wächst unaufhaltsam, es hört nicht eher auf zu wachsen, bis die ganze Welt vernichtet …
»Wollen Sie jetzt Konversation machen?«, brummt Koller.
»Entschuldigung«, sagt Torge.
Beide lesen weiter. Nach zwei Minuten nimmt Torge die Zeitung plötzlich herunter, als sei ihm etwas Wichtiges eingefallen. »Erwin?«, fragt er.
Koller reagiert nicht.
»Erwin?«, wiederholt Torge.
Koller sieht ihn flüchtig über die Zeitung hinweg an. »Reden Sie mit mir?«, fragt er.
»Ich lese gerade hier … Wirtschaft … Sie sind doch nicht etwa … Tut mir leid, wenn ich Sie belästige. Aber Sie sind doch nicht etwa Erwin Koller, ich meine, der Erwin Koller, Chef der Koller-Werke?«
»Haben Sie ein Problem damit?«
»Erwin Koller. Mein Gott. Ein Jahresumsatz von …«
»Ich kenne meinen Jahresumsatz.«
»Und dann das!«
»Was meinen Sie?«
»Haben Sie ihn nicht gesehen?«
»Wen?«
» Ihn! Als Sie vorhin durchs Lokal gegangen sind?«
»Ja, wen denn?«
»Auf dem Weg hierher, ins Séparée?«
»Meinen Sie, ich schau mir die Leute an, die draußen in der Suppe stochern?«
»Waren Sie nicht verantwortlich für den Bankrott von Gronauer & Co., vor vier Monaten?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Draußen«, sagt Torge, »direkt am Fenster, da sitzt er: Gronauer.«
»Das glauben Sie doch selber nicht. Der kann sich so ein Lokal gar nicht mehr leisten.«
»Doch, ich bin mir sicher. Gronauer, der Senior, mit Frau und Sohn. Also … mit dem … mit dem jüngeren Sohn … natürlich.«
»Woher wollen denn ausgerechnet Sie den Gronauer kennen?«
»Hab mal für ihn
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