Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irgendwo dazwischen (komplett)

Irgendwo dazwischen (komplett)

Titel: Irgendwo dazwischen (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
Vom Netzwerk:
ist irgendwie dazwischen geraten und hat eine
Faust abbekommen.“
    „Von wem?“
    „Wie von wem?“, frage ich genervt.
    „Na, war es Elias' Faust, oder Rüdigers?“
    „Keine Ahnung... hab ich nicht gefragt.“
    „Wärst du früher gegangen...“
    „... wäre das vermutlich nicht passiert... ich weiß...“, beende
ich seinen Satz.
    „Ich hätte dich nicht aufhalten sollen.“
    „Hätte ich wirklich gehen wollen, hättest du mich nicht aufhalten
können“.
    Abends liege ich in meinem Bett und ersticke in Schuldgefühlen.
Und auch wenn Elias mir gut zugeredet hat, weiß ich, dass ich daran schuld bin.
Zumindest teilweise. Ich habe sie versetzt, weil Clemens und ich Streit hatten,
und weil ich lieber mit ihm schlafen wollte, als mich ihrer berechtigten
Enttäuschung zu stellen. Ich bin eine beschissene Freundin. Ich bin das Letzte.
Und sie liegt im Krankenhaus. Ganz alleine. Scheiße.
     
    Lili
    Wirre Träume, in denen Rüdiger mich umbringt, Elias mit Ella
schläft oder Emma mich am Boden liegen lässt, plagen mich in den folgenden
Tagen und Nächten. Ich spüre, dass jemand da ist, werde aber nie wach genug, um
zu wissen, wer da meine Hand hält. Es könnten meine Eltern sein, oder Emma. Es
könnte Marie sein, die einzige Freundin, auf die zur Zeit Verlass ist. Oder es
könnte Elias sein. Ich wünschte, es wäre Elias.
    Nach vier Tagen bin ich zum ersten Mal wieder richtig ansprechbar.
Zumindest laut meinem betreuenden Arzt, Dr. Feichtmann. Und als ich aufwache,
ist kein Mensch da. Der Geruch von Desinfektionsmittel steigt mir beißend in
die Nase. Einige Wochen werde ich mit dem Sprechen noch Schwierigkeiten haben,
meint Feichtmann, doch mein hübsches Gesichtchen werde unverändert sein. Na,
das ist doch die Hauptsache.
    Nach einer Stunde in der Realität kommen meine Eltern. Es ist
schön, dass sie da sind. Zwei besorgte Gesichter, Hände, die mir über die Stirn
streicheln, Erleichterung darüber, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Sie
machen mir keine Vorwürfe. Im Gegenteil. Sie sind stolz auf mich, weil ich mich
eingesetzt habe. Wer weiß, wie lange sich die Beiden noch geprügelt hätten…
und Gott sei Dank war Elias da… und wenn ich diesen Rüdiger in die Finger
bekomme… Ganz mein Vater. Innerlich muss ich lächeln, äußerlich versuche
ich es lieber nicht.
    Am späten Nachmittag machen sich meine Eltern auf den Heimweg.
Meine Mutter hat mir mein Lieblingskissen und den kleinen Ghetto-Blaster
mitgebracht, der sonst bei uns im Bad steht, damit ich wenigstens meine
Kassetten zum Einschlafen hören kann. Auch wenn man noch so erwachsen tut, ein
paar ganz kindliche Charakterzüge bleiben einem eben doch, und einer meiner kindlichen
Züge ist, dass ich abends Gullivers Reisen oder Harry Potter Hörbücher brauche,
um einschlafen zu können.
     
    Emma
    Ich sitze in der Tram und versuche herunterzuspielen, was passiert
ist. Ich versuche vor mir zu leugnen, dass ich bin, wie ich bin, und dass das
teilweise total beschissen ist. Ich bin ich-bezogen, eingebildet und unsicher.
Ich bin nach außen hin eine andere als in mir, und ich kann nicht fassen, dass
ich mich immer schon billig verkauft habe, bloß, damit ich in den Augen anderer
ein begehrenswertes Leben führe. Ich bin erbärmlich. Ich trage immer hautenge
Sachen und wundere mich, dass mich fast alle Lehrer für dumm halten. Ich habe
keine Interessen, außer Männern, und wundere mich, warum sich in meinem Leben
alles um Männer dreht. Ich bin prinzipientreu, aber nur, wenn es darum geht,
wie andere sich mir gegenüber verhalten. Ich kann mich gerade nicht leiden. Und
ich könnte verstehen, wenn Lili mich hochkant aus der Klinik werfen lässt,
sobald sie mein Gesicht sieht. Doch ich kenne sie, und sie weiß, dass ich nie
wollte, dass so etwas passiert. Sie weiß, dass ich innerlich ein Wrack bin. Sie
weiß, dass ich alles tun würde, um es ungeschehen zu machen. Und obwohl ich
weiß, dass sie das weiß, habe ich Angst, ihr gleich gegenüberzutreten. Ich bin
so viel kleiner als man denken würde.
    Und das Schlimmste ist, dass ich es irgendwie nicht bereue, dass
ich bei Clemens geblieben bin. Klar wünschte ich, dass Lili nichts passiert
wäre. Aber es war wunderschön mit Clemens. Unsere Laute haben durch den Flur
gehallt, die kühlen Fliesen der Untergrund für brennende Haut. Vielleicht hatte
ich in der Sekunde einen Orgasmus, als Lili eine Faust ins Gesicht gedonnert
wurde. Das ist ja grausam.
     
    Marie
    Ich bin neunzehn und lesbisch. Lange

Weitere Kostenlose Bücher