Irrfahrt
fortgesetzt werden. Mit äußerster Vorsicht manövrierten die Boote über die Felsenbarre. Jede Grundberührung hätte Ruder- oder Schraubenbrüche zur Folge gehabt. Harms und Bootsmaat Kern paßten auf wie die Schießhunde.
Die Saone wurde breiter. Nach einem Tag war die Flottille in Lyon, dem Zentrum der Seidenindustrie. Hier mündete die Saone in die Rhöne. Auf dem schnell dahinfließenden Strom gingen die Boote auf eine höhere Fahrstufe. Abends lagen sie in Avignon. Heinz Apelt dachte an ein Lied aus seinem französischen Lehrbuch:
Sur le pont d'Avignon on y danse, on y danse...
Und jetzt stand er als Posten unweit dieser weltberühmten Brücke. Wenn das Moppel wüßte!
Hinter Avignon tuckerten sie wieder stundenlang dahin. Dann weitete sich der Fluß zu einer Bucht. «Halbe Fahrt voraus!» kommandierte der Flottillenchef. Für Maschinen und Mannschaften war das geradezu eine Wohltat.
Die Schnellboote liefen in einen richtigen Seehafen ein, mitten zwischen Fischereifahrzeuge und Küstenmotorschiffe. Franzosen, die Baskenmütze auf dem Kopf, schauten ein wenig verwundert, mit welchem Tempo die stämmigen «Schlepper» angerauscht kamen.
Es war kaum zu fassen: Die Flottille hatte das Mittelmeer erreicht. Allmählich dämmerte der Besatzung, was für Aufgaben sie erwarteten.
Während die Männer beim Essen saßen, hatte der Flottillenchef mit Harms eine Unterredung.
Kapitänleutnant Kruse war ziemlich wütend. «Möchte bloß wissen, wer sich diese blödsinnige Verlegung über Binnenwasserstraßen ausgeknobelt hat. In zwei Wochen sollten wir an Ort und Stelle sein, und wie lange haben wir gebraucht? Beinahe das Dreifache! Wenn ich nur an Chalon denke, schwillt mir der Kamm. Diese Theoretiker! Von Praxis keine Ahnung! Dabei hätte man die wichtigsten Teile, vor allem die Maschinen, bequem auf Eisenbahnwaggons nach Italien befördern können. Jede kleine Werf t hätte unsere Boote in vierzehn Tagen wieder zusammengesetzt...»
Harms fand die Überlegungen seines Chefs völlig richtig. Aber er hütete sich, seinerseits eine Kritik an der Admiralität vorzubringen. «Jawohl, Herr Kaleu! Ganz meine Ansicht. Das hätte man tun sollen.» Daß der Chef so offen zu ihm sprach, war ein Vertrauensbeweis, der ihn mit Stolz erfüllte.
«Und noch etwas», sagte Kruse. «Durch den Gammeltörn sind die Mannschaften verwildert. Damit ist jetzt Schluß! Hart anpacken, nichts durchgehen lassen! Uns steht einiges bevor.»
Harms nahm die Hacken zusammen. «Jawohl, Herr Kapitänleutnant. Wir werden den Engländern schon zeigen, wer das Mittelmeer beherrscht.»
Die Hoffnung der Besatzung, in dem kleinen Seehafen eine Ruhepause zu verbringen, erfüllte sich nicht. Seit Lyon befanden sie sich in der unbesetzten Zone Frankreichs. Hier standen keine deutschen Truppen, sondern französische Streitkräfte, allerdings ohne schwere Waffen. Nicht weit davon, in Toulon, lag der Rest der französischen Kriegsflotte abgerüstet an der Kette.
Harms klärte seine Männer auf. «Wir sind in Feindesland. Höchste Zeit, daß wir verschwinden. Wenn die merken, was hinter unseren Schleppern steckt, gibt es einen Riesenskandal!»
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit liefen die Boote in Doppelkiellinie aus dem Hafen, ohne Positionslichter zu setzen. Verschärfter Ausguck war angeordnet, damit die Fühlung im Verband nicht verlorenging.
Das Mittelmeer zeigte unter der scharfen Brise eine lange Dünung. Schaum krönte die Wellenkämme. Mehrfach kamen Brecher über den flachen Bug der Boote. Anfangs liefen sie genau gegen den Wind, aber dann, als eine Kursänderung befohlen wurde, standen sie dwars zu Wind und Wellen. Wie Nußschalen rollten die Boote in der schweren See. Bei ihrem Bau hatte man auf Seetüchtigkeit wenig Rücksicht genommen. Ein S-Boot mußte vor allem schnell sein, alles andere war Nebensache. Gleichmäßig stampften die Motoren. Die Geschwindigkeit betrug etwa vierzig Knoten.
Heinz Apelt war zur Wache am Geschütz eingeteilt. Die Männer schnallten sich mit Lederriemen fest, um nicht über Bord gespült zu werden. Innerhalb weniger Minuten wurde Apelt, den Bootsmaat Kern absichtlich an die Steuerbordseite gestellt hatte, von mehreren Brechern überschüttet. Er spürte, wie sich seine Hosenbeine bis zum Knie voll saugten und ihm das kalte Wasser durch den Halsausschnitt der Schwimmweste drang. Sein Magen begann zu revoltieren. Zuerst wurde ihm flau, dann schlecht. Als das Fahrzeug in ein tiefes Wellental eintauchte,
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