Irrfahrt
die Reihe an ihn kam, fiel ihm kein Lied ein. Sein Gehirn war wie leergeblasen. «Sing doch: Hänschen klein», rief einer. Brüllendes Gelächter. «Alle meine Entchen», schlug Frase vor. «Na los, mach schon!» Und Heinz sang, etwas falsch, dafür aber um so lauter: «Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh!»
So war vor wenigen Stunden das Nachbarboot untergegangen.
Die Verhandlungen mit dem Werftbesitzer erwiesen sich als umständlich und zeitraubend. Alles Drängen war nutzlos. Auf seine höflichen Fragen erhielt der Flottillenchef schnell hervorgesprudelte Antworten. Kein Mensch konnte das erfassen, geschweige denn ins Deutsche übersetzen. Kruse begrif f nur so viel, daß ein altes Fischerboot, das auf der Slipbahn lag, zuerst abgefertigt wurde.
Am nächsten Morgen wurde das am schwersten getroffene Schnellboot mit aller gebotenen Vorsicht aufgeslipt. Eingehend besahen sich die verantwortlichen Männer der Werf t den Schaden. Die Löcher im Bootsrumpf wurden vermessen und beklopft. Dann rechneten sie eine Weile. Zahllose Formulare mußten ausgefüllt werden. Inzwischen war es zwölf Uhr. Mittagspause.
Gegen ein Uhr ging Kapitänleutnant Kruse wieder auf die Werft. Mutterseelenallein stand er zwischen Eisenplatten, Schweißbrennern und Gasflaschen. Niemand ließ sich blicken. Um zwei Uhr das gleiche Bild. Endlich, kurz nach vier, kehrten die Arbeiter zurück. Rechte Lust schienen sie nicht zu haben, jedenfalls wurden keine merklichen Fortschritte erzielt. Wütend stellte Kruse den Werftbesitzer zur Rede. Der schwarzhaarige Mann entschuldigte sich wortreich. In den Gesichtern der Arbeiter standen Ablehnung und Spott.
Erst am folgenden Morgen wurden die Löcher in der Bordwand abgedichtet. In aller Ruhe machten sich die Arbeiter daran, das Unterwasserschif f mit Bürsten und Kratzeisen zu reinigen. Zum Anstreichen blieb keine Zeit mehr, es war schon Abend. Kruse tobte. In Deutschland hätte die Reparatur höchstens einen halben Tag gedauert. Aber sie befanden sich hier nicht in Deutschland, sondern in Italien.
Die Stimmung der Italiener war längst nicht mehr kriegsbegeistert. Ein Teil der Flotte auf dem Meeresgrund, in den verlorenen Kolonien eine Armee in Gefangenschaft, verheizte Divisionen an der Ostfront. Und noch war kein Ende abzusehen. Was Mussolini anpackte, ging schief. In den zwanzig Jahren seines Regimes hatte es nur Krisen und Kriege gegeben. Die Wirtschaf war ausgehöhlt, das Volk litt Not, der Terror im Lande nahm zu.
Immer mehr Soldaten begannen sich zu fragen, was sie eigentlich in dem riesigen Rußland zu suchen hatten. Als man in den Krieg eintrat, sah es nach Frieden aus. Doch die Deutschen konnten nicht genug bekommen; die halbe Welt forderten sie heraus. Italien mußte für sie das Kanonenfutter liefern. Wo die Deutschen auftauchten, bedeutete es eine Verlängerung des Krieges. Sie erteilten Befehle, prahlten mit ihrer Tüchtigkeit und machten über andere ihre dummen Witze. Nein, die Stimmung war nicht mehr deutschfreundlich. Das bekam auch Kruses Schnellboot-Flottille zu spüren. Die Reparaturen dauerten fünf Tage. Kruse schimpfte über die Faulheit der «Ithaker». Er war am Ende seiner Nervenkraft. Die Bootsbesatzungen hingegen verlebten eine geruhsame Zeit. Sie konnten sich ausschlafen, hatten nur vormittags Dienst und verbrachten, sobald die Hitze nachgelassen hatte, viele Stunden an Land.
In Neapel war vom Krieg wenig zu bemerken. Wohlhabende Familien gingen auf der großen Uferpromenade spazieren. Kioske boten Eis und Zigaretten, Obst und Süßigkeiten an. Die Preise waren hoch.
Hinter Santa Lucia begann die Altstadt. Enge Gassen, halb verfallene Häuser, Abwasser, schreiende Kinder, zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Der Unterschied zwischen arm und reich war sehr kraß. Auf den kleinen Märkten lagen minderwertige Waren aus. Um jedes Stück wurde ausgiebig gefeilscht. Die Frauen in der Altstadt drehten jede Lira dreimal um, ehe sie sie ausgaben.
Die Matrosen hatten Geld, jedenfalls zu Anfang. In den Lokalen und stadtbekannten Häusern nahm es rapide ab. Heinisch scherte aus; er suchte mit Ausdauer nach seinem «Kaliber». Schließlich sprach er eine üppige Frau an, die in einer Haustür stand. Zu seiner Verblüffung erntete er keineswegs das berufsübliche Lächeln, sondern eine kräftige Ohrfeige. Er war an die Falsche geraten.
Aber das sollte nicht die einzige Prügel in Neapel bleiben.
Frase, Spindler und Apelt gingen ins Kino. Irgendein historischer
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