Irrliebe
Kartenrückseite. Hotel-Restaurant Moselgold, stand dort in blasser grauer Schrift. Sie studierte den Poststempel. Die Karte war in Dortmund am 31. August abgestempelt worden. Vermutlich hatte Franziska die Karte bei ihrem Wochenendaufenthalt an der Mosel gekauft und erst zu Hause abgeschickt. Offensichtlich war Pierre von der Mosel direkt nach Paris gefahren. Franziska kannte seine hiesige Adresse, denn sie hatte sie vollständig und richtig in das Anschriftenfeld geschrieben. Marie kannte Franziskas Handschrift nicht mehr. Die gemeinsame Schulzeit lag Jahre zurück. Und das Schriftbild, das sich in Franziskas damaligen Schulklausuren zeigte, mochte sich verändert haben. Aber schon damals hatte sie die Angewohnheit, den Punkt auf dem Buchstaben i als kleinen Kreis auszuführen. So, wie auf der Postkarte. Marie lächelte: Hotel-Restaurant Moselgold in Traben-Trarbach am Wochenende vor dem 31. August. Das war ein Ansatzpunkt. Sie rief in ihrem Handy den Kalender auf. Der 31. August war ein Montag. Ein Sachverständiger würde klären können, ob die Schrift auf der Karte von Franziska stammte. Marie wollte die Postkarte gerade in das kleine Reißverschlussfach ihres Koffers stecken, als sie eine kalte Hand auf ihrer Schulter spürte und herumfuhr. Dominique stand hinter ihr und sah sie mit glasigen Augen an.
»Ich habe dich nicht kommen hören«, entfuhr es Marie.
»Die Tür kann auf ihren Rollen leise gleiten, lautlos wie die Katzenpfoten«, säuselte Dominique und legte den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf ihre Lippen. »Ganz laut oder ganz leise, Marie, es kommt immer darauf an, wie man es macht.« Sie musterte Marie, dann sah sie an ihr vorbei auf den geöffneten Koffer.
»Was hast du denn da?«, fragte sie geschmeidig.
»Nichts«, erwiderte Marie tonlos. »Ich habe nur nachgeschaut, ob ich das Ticket für den Thalys in der Tasche habe. Ich werde schon morgen fahren. Ich bin in solchen Sachen immer etwas übernervös. – Kleine Neurose, verstehst du?« Ihr gelang ein schüchternes Lächeln.
»Was hast du in der Schublade gefunden?«, fragte Dominique unbeirrt. »Du hast doch etwas gefunden«, setzte sie milde nach und signalisierte, dass es Maries letzte Chance war, freiwillig zu gestehen, was Dominique offensichtlich ohnehin wusste.
»Eine Postkarte«, antwortete Marie leicht dahin, »eine Postkarte von Franziska an Pierre. Ich werde sie dem Staatsanwalt geben.«
Sie bückte sich, zog die Karte aus dem Kofferfach und reichte sie Dominique.
Die Architektin studierte die Karte, wendete sie mehrfach und gab sie schließlich Marie zurück.
»Schreibt deine Freundin so? Sind das die Worte, wenn es ihr einer besorgt hat?« Sie presste die Lippen hart aufeinander. Dominiques Gesicht war gefurcht, wenn sie verletzt war. Sie wirkte älter, als sie war.
»Ich weiß es nicht«, wich Marie aus.
»Du musst die Karte der Polizei geben, Marie, ist das klar?«, forderte Dominique. »Behalte die Karte nicht als Erinnerung an deine Freundin. Es geht hier um sehr ernste Dinge. Die Karte haucht der Affäre meines Mannes Leben ein. Dieses Dokument muss zur Polizei, klar?«
Dominique verließ mit harten Schritten das Zimmer und schob die Schiebetür dröhnend zu. Marie erschrak, als diese dumpf an den Rahmen schlug und schwingend zurückfederte. Sie steckte die Postkarte ein, schloss leise die Tür und blieb einige Minuten allein. Dann fasste sie sich ein Herz und ging zu Dominique ins Wohnzimmer. Die Architektin saß an ihrem Laptop und spielte Patience. Die Zigarette glühte im Aschenbecher.
»Warum bist du gerade in mein Zimmer gekommen, Dominique? Du hast dich angeschlichen.« Marie gelang, mit fester Stimme zu reden. Sie ängstigte sich vor dieser Frau, die ein unerfülltes Dasein führte und das Glück der anderen mit Hohn und Verachtung strafte.
»In dieser Wohnung gibt es keine Geheimnisse, Marie«, tadelte Dominique. »Es gibt keine verschlossenen Türen.«
»Doch«, erwiderte Marie. »Schon wegen der Katze. Ich möchte nicht, dass Minouche wieder auf die Bettdecke springt. Du hast es selbst gesagt.«
Dominique starrte eine Weile unbewegt auf das Display ihres Computers. »Du weißt schon, was ich meine, Kindchen«, sagte sie, zog an ihrer Zigarette und entließ den Rauch in kleinen Kringeln, die träge nach oben stiegen und sich in bläulichem Dunst verflüchtigten.
»Wie war dein Tag?«, fragte Marie versöhnlich. »Waren deine Geschäfte erfolgreich?«
»So wie immer«, beschied Dominique und
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