Irrliebe
Richter vortragen und Haftbefehl gegen Dominique Rühl-Brossard beantragen würde.
Ylberi verließ unruhig sein Büro. Er fuhr zu der Papierfabrik im Dortmunder Westen, in der Daniel auf 400-Euro-Basis seine Computerkenntnisse anzuwenden wusste und sich als Systemverwalter um die firmeneigene Datenverarbeitung kümmerte. Daniel arbeitete auf Abruf, wurde dort eingesetzt, wo gerade Probleme aufgetreten waren, und schaffte es, sich unersetzlich zu machen, indem er niemals darüber aufklärte, wie die häufig leicht zu behebende Störung durch richtige Bedienung hätte vermieden werden können. Daniel arbeitete sich dann mit gespielter Anstrengung und großem Zeitaufwand in die beklagten Probleme ein, stöpselte mehrpolige Stecker ein und aus, betete kanonartig Fachbegriffe hinunter und präsentierte die ersehnte Lösung wie ein nur durch äußerste Mühen erzielten Erfolg, dessen Eintritt nicht abzusehen war. Daniel war geschickt und füllte die Nische aus, die man ihm in der Papierfabrik einräumte, doch ihm fehlte jeder Ehrgeiz, aus seinem Talent wenigstens so viel zu machen, dass es für ein Einkommen sorgte, dessen Höhe eine bessere als die kleine schäbige Mietwohnung in der Dortmunder Nordstadt ermöglicht hätte. Doch Daniel war zufrieden, weil er vor allen Neuerungen und Möglichkeiten, die sich ihm boten, die Augen verschloss und genügsam sein Dasein zum Ideal erhob, das ihn nur deshalb befriedigte, weil er jede Alternative stoisch ignorierte. Daniel erkannte, dass die sich immer mehr perfektionierende Gesellschaft noch einige Nischen bot, und er selbst hatte für sich bestimmt, nur in einer Nische leben zu wollen.
Als der Staatsanwalt Daniel vor dem Werkstor der Papierfabrik in Empfang nahm, dunkelte es bereits. Es war ein feuchtkalter Tag und nach Ylberis Meinung genau das richtige Wetter, um Daniel vor Ort auf den Zahn zu fühlen.
Er wies Daniel an, in sein Auto zu steigen, schlug die Beifahrertür zu, umkreiste sein Auto, schlüpfte auf den Fahrersitz und ließ Daniels protestierende Fragen unbeantwortet. Ylberi gab sich stur und streng, er forderte ihn barsch auf, sich endlich anzuschnallen, und schwieg beharrlich die ganze Fahrt über. Als sie den Bahnhof Kurl erreichten, befahl er Daniel, auszusteigen und ihm zu folgen.
Auf dem Bahnsteig stehend, packte ihn Ylberi hart an die Schulter.
»Sie sind ein Lügner!« Der Staatsanwalt stieß Daniel zurück, der sich mühsam fing und mit zitternden Beinen stehen blieb.
»Sie haben gelogen, indem Sie behauptet haben, Franziska sei außer den wegen vermeintlicher Notfälle verlängerten Schichtzeiten und dem Wochenende mit ihrer Freundin Frauke nie länger weggewesen. In Wirklichkeit war Franziska häufiger weg – und auch über längere Zeit. Am 27. August zum Beispiel war sie nachmittags stundenlang mit ihrem neuen Freund im Schwimmbad. Und wir sind uns einig, dass dies nicht der einzige Tag gewesen ist. Sie war immer wieder weg, stundenlang. Blieb sie auch über Nacht fort?«
»Nein!«, beharrte Daniel.
»Sie haben gelogen, indem Sie behauptet haben, Franziska hier auf dem Bahnsteig mit ihrem Geliebten vom Güterschuppen aus beobachtet zu haben. Denn wenn Sie einmal zu dem verlassenen Schuppen schauen, können Sie trotz der Dunkelheit erkennen, dass von dem aufgelassenen Gebäude ein Zaun längs der Gleise verläuft. Dahinter ist undurchdringliches Dickicht. Wollen Sie behaupten, im August dort entlanggeschlichen zu sein? Man hätte Sie doch gesehen. Es war noch hell. Selbst jetzt würde man bemerken, wenn dort jemand wäre.«
Daniel schwieg.
»Was ist mit dem Zelt?«, bohrte Ylberi. »Hatte Franziska es nicht doch von der Mosel wieder mitgebracht? Schließlich hatte sie es doch von ihrer Freundin Frauke geliehen, die es eingepackt und hierhin mit der Post geschickt hat. Franziska wollte es ihr doch wiedergeben. Also wird sie es wieder mitgebracht haben!«
Daniel blickte Ylberi verschüchtert an.
»Sie hat es nicht mitgebracht«, versicherte er hilflos. »Warum sollte ich Sie anlügen?«
»Weil Sie alles vernichten, was über Franziskas Intimleben Zeugnis ablegen könnte. Haben Sie das gemeinsame Bett weggeworfen oder nicht?«
Daniel schwieg weiter.
»Sie haben es weggeworfen!«, antwortete Ylberi sich selbst. »Also haben Sie auch das Zelt entsorgt. Denn Sie wussten schon damals aus den Zuschriften auf die Chiffreanzeige, die Sie selbstverständlich gelesen hatten, dass sich Franziska von Ihnen trennen wollte, sie vielleicht
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