Isabelle
Strauß Rosen mitgebracht, in raffinierten orangeroten Farbtönen, die wie das Ergebnis jahrelanger Züchtung und Veredelung aussahen. Jetzt, mitten im Winter, mussten sie ein kleines Vermögen gekostet haben. Als sie sie in Empfang nahm und Judith in die Augen schaute, wurde Isabelle klar, dass sie in letzter Zeit nur noch an sich selbst gedacht hatte und an die Probleme, zwei Kinder unter schwierigen Bedingungen großzuziehen. Erst jetzt begriff sie, dass dank der Zwillinge auch Judiths tiefster Wunsch in Erfüllung gehen konnte, als sei alles so vorherbestimmt.
Alles an Judith wirkte weicher, ihre Stimme, ihre Augen, ihre Bewegungen und ihre ganze Aufmachung. Den Pelzmantel hatte sie locker um die Schultern gehängt, und statt des schlichten, formellen Kostüms wie bei ihrem ersten Besuch trug sie ein weites drei viertel langes Kleid, das blau und seidig um sie herum wallte, als wolle sie ihren Körper verbergen. Isabelle fragte sich, ob ihr an Judith alles deshalb so anders erschien, weil sie selbst eine andere Einstellung hatte und sich jetzt die größte Mühe gab, sie als gute Mutter für eines ihrer Kinder zu betrachten.
»Ich bin sehr froh über deine Entscheidung«, sagte Judith. »Und ich hoffe, dass du auch dabei bleibst. Man hört ja oft davon, dass es sich die Frauen im letzten Moment doch noch anders überlegen.« Ihre Stimme klang freundlich, aber es schwang ein leicht tadelnder, ermahnender und auch besorgter Unterton mit.
Isabelle vergegenwärtigte sich, dass sie sich nicht gut kannten.
»Möchtest du, dass ich dir etwas Schriftliches gebe?«
Judith schüttelte den Kopf. »Ich möchte, dass die Sache ganz unter uns bleibt.« Sie zögerte. »Ich bin Geschäftsfrau«, sagte sie dann. »Wenn ich eine Abmachung treffe, halte ich mich daran. Aber in diesem Fall geht es um eine Abmachung zwischen ungleichen Partnern. Wenn ich mich nicht an unsere Vereinbarung halte, brauchst du unser Geheimnis nur an die große Glocke zu hängen, um mir alles zu verderben. Das ist das Problem, du sitzt am längeren Hebel, ich bin dir ausgeliefert, weil ich dich zu nichts zwingen kann. Ich bin gezwungen, dir zu vertrauen.«
»Jetzt wird es aber kompliziert«, sagte Isabelle. »Was meinst du mit ›unserem Geheimnis‹?«
Judith schaute sie an. »Ich bin seine Mutter«, sagte sie dann.
Isabelle spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. »Meinst du, dass sie sich niemals sehen dürften?«, stieß sie hervor.
Sie hätte sich die Zunge abbeißen mögen, als sie das überraschte Gesicht von Judith sah. »Sie?«
Isabelle wandte den Blick ab. »Es sind Zwillinge.«
Judith musste die Information erst verarbeiten. »Hätte ich das nicht wissen sollen?«
Isabelle geriet durcheinander. »Letty dachte, du würdest dein Angebot vielleicht ändern … wenn du von den Zwillingen wüsstest.«
»Wer ist Letty?«
»Meine Freundin.«
»Und sie weiß hiervon?«
Isabelle legte eine Hand auf ihren Bauch. »Das kann ich ja wohl schlecht verbergen.«
»Nein, ich meine, von unserer Vereinbarung.«
»Sie ist meine Freundin.«
Judith seufzte. »Und sicher wissen es auch die Leute hier nebenan, und wer noch alles?«
»Niemand«, sagte Isabelle wütend. »Ich weiß nicht, was du für ein Problem damit hast. Wie wär’s, wenn du dich für mich freuen würdest?«
Judith lenkte ein. »Natürlich freue ich mich für dich, und auch für mich selbst.« Sie beugte sich versöhnlich zu Isabelle. »Du hast Recht, bitte sei mir nicht böse. Ich freue mich für dich. Natürlich mache ich mir Gedanken, ich gebrauche nicht nur meinen Verstand, sondern ich habe auch Gefühle. Ich habe darüber nachgedacht, was es für dich bedeutet, das Kleine herzugeben, und habe mich gefragt, ob es überhaupt genug Geld gibt auf der Welt, um so etwas aufzuwiegen. Ich hätte wahnsinnig gern ein Kind, das Kind von Ben, aber ich habe mir die ganze Zeit Sorgen um dich gemacht und mich gefragt, ob ich dir das antun darf und ob ich dir damit nicht zu viel Kummer bereite. Dass es Zwillinge werden, bedeutet eine enorme Erleichterung. Das macht alles einfacher, und zwar für uns beide.«
Isabelle lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Ich weiß noch nicht einmal, ob du ihm eine gute Mutter sein wirst.«
Judith presste die Kiefer aufeinander. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
Isabelle schüttelte den Kopf. »Du sagst immer genau das Richtige.«
Judith erwiderte unsicher ihren Blick. »Mir wird jetzt erst bewusst, wie sehr ich mir mein Leben lang ein
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