Isabelle
wolltest du das mit der Adoption regeln, wird das nicht ziemlich kompliziert?« Ihr fiel plötzlich etwas ein. »Möglicherweise kannst du es ja gar nicht adoptieren, das dürfen doch nur Ehepaare.«
Judith nickte. »Deshalb müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Ich bin die Mutter und du bist nur die Leihmutter, jedenfalls von einem der beiden.«
»Ist das legal?«
»Das wird oft praktiziert. Alles eine Frage der Organisation.«
»Ja, aber …«
»Deshalb kannst du es nicht hier zur Welt bringen«, sagte Judith. »Du musst irgendwo anders hin, am besten ins Ausland, ich denke, ich kann das regeln. Es ist die einzige Lösung. Du müsstest dort eine oder zwei Wochen vor der Geburt hingehen. Natürlich könntest du deine eigene Pflegerin mitnehmen, wenn du willst. Und ich komme auch mit.«
»Du meinst, eine Mutter geht rein und zwei Mütter kommen raus?«
Judith suchte nach einer Antwort, aber Isabelle hob die Hand, bevor sie etwas sagen konnte. Ihr wurde allmählich schwindelig. Sie hatte kein Problem mit der Klinik im Ausland oder mit irgendeinem anderen von Judiths Vorschlägen. Judith hatte natürlich Recht, und sie verfügte über die Mittel, alles so durchzuführen. Das war nicht der Punkt. Aber die andere Frage drängte sich wieder auf, die Frage, auf die Isabelle keine Antwort wusste. Sie schloss die Augen und fragte: »Welches von den beiden?«
Judith schaute sie an. »Möchtest du, dass ich es aussuche?«
Isabelle stammelte: »Ich kann keine zwei Babys nebeneinander legen und mir eins aussuchen oder dich eins aussuchen lassen. Das ist doch unmenschlich!«
Sie blickte durch die Tür zum Garten hinaus in das kalte, dunkle Licht des frühen Winters. Der Gasofen war auf heiß gestellt. Nachts fror es, der Boden war hart, und wie kleine Nebelwölkchen sah man den Atem der Schafe, die eine glitzernde, dünne weiße Schicht auf ihrem gelblichen Fell trugen, weil leichter Hagel fiel, der sich von einem Augenblick zum anderen in Schnee verwandeln konnte. Isabelle kam der unsinnige Gedanke, dass Schafe das ganze Jahr über weiß aussahen, und man erst im Schnee erkannte, dass sie eigentlich ein gelbes Fell hatten.
»Ich will das Erstgeborene«, sagte Judith. »Ich denke, das ist am einfachsten für uns alle.«
Isabelle stiegen die Tränen in die Augen. Sie wusste nicht, warum, vielleicht war es schon allein der Gedanke an das alles. Aber sie hatte A gesagt und jetzt musste sie nüchtern reagieren und auch B sagen.
Ihr war egal, welches der beiden. Es war besser, sich für eine Nummer zu entscheiden, als über dunkelhaarig oder blond, Junge oder Mädchen nachzudenken, weil die Kin der dadurch zu Personen wurden. Nummern waren ano nymer, man überließ die Entscheidung dem Schicksal. Vielleicht war ihr Kind ein Mädchen. In letzter Zeit hatte sie oft gedacht, dass sie eigentlich am liebsten ein Mäd chen hätte, eine Tochter. »Gut«, flüsterte sie.
Nachdem Judith weg war, schenkte sie sich ein Gläs chen Portwein ein und blieb eine Weile damit am Fenster stehen. Nachts jammerten kleine Eulen rund um den kahlen Kirschbaum und die Kaninchen hielten unter dem großen Holzstapel ihren Winterschlaf. Sie würde den Bauernhof vermissen, weil hier alles so echt und so un kompliziert war. Sie hatte einmal gelesen, dass es Orte gab, die nicht lügen konnten und sich niemals mit frem den Federn schmückten. Das hier war so ein Ort.
Sie versuchte, ihre Lage ganz nüchtern zu betrachten, und sie wusste, dass sie eigentlich glücklich sein sollte. Sie trug ein Kind von ihrer großen Liebe unter dem Herzen und erhielt ein Vermögen, mit dessen Hilfe sie es groß ziehen konnte. Ihr Mann würde weiterleben, sie würde ihn jeden Tag in den Augen ihres gemeinsamen Kindes wiedersehen. Schon morgen bekam sie so viel Geld, dass sie sich ein richtiges Klavier kaufen konnte. Sie vermisste ihr Klavier.
Aber ihr Kind war noch nicht da. Es war in ihrem Bauch. Es strampelte immer öfter, fast ständig, so oft und so lebhaft, dass es hätten zwei sein können.
14
Als Judith ihrer Mutter über die Haussprechanlage kurz angebunden mitteilte, sie solle sie bitte auf dem Neu jahrsempfang des Lions Clubs entschuldigen, war für Carolien das Maß voll. Erregt eilte sie, in ihrer Hast ohne Mantel, aus ihrem Seitenflügel hinaus und stapfte über den vereisten Kies hinüber zum großen Haus. Die Sonne schien, aber ein kalter Ostwind fegte durch die kahlen Bäume im Garten und blies durch ihr Kleid aus schwar zem Satin, das sie
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