Isabelle
vielleicht abstreiten, aber ich weiß, dass sie darunter sehr stark litt. Judith ist zwar kein mütterlicher Typ und ihr Leben ist von anderen Dingen ausgefüllt, mit denen sie ihre Kinderlosigkeit kompensiert, außerdem ist sie sehr ehrgeizig, genau wie ich. Dennoch glaube ich, dass das Ausbleiben einer Schwangerschaft sie verbitterte und dass ihre Ehe darunter gelitten hat.«
»Sie kennen Ihre Tochter anscheinend sehr gut.«
»Ja. Sie ist eine Kopie meiner selbst«, antwortete Carolien ruhig.
Kleiweg schaute in die Richtung, in die Judith verschwunden war. »Nicht ganz«, bemerkte er.
»Sie ist jünger als ich, das ist alles.«
Er unterdrückte ein Lächeln. »Warum blieb die Ehe kinderlos?«
»Ben konnte keine Kinder zeugen. Ich habe meine Tochter dazu angeregt, sich in einer Klinik behandeln zu lassen, heutzutage gibt es doch so viele Möglichkeiten, aber beide können Arzte nicht ausstehen, und für Judith ist schon allein der Gedanke an eine künstliche Befruchtung unerträglich.«
»Waren sie lange verheiratet?«
»Etwas über vier Jahre.«
»Kommt er hier aus der Gegend? Kennen Sie seine Familie?«
»Nein.« Sie zögerte einen Moment. »Ich weiß nicht viel über ihn. Die beiden haben sich auf einer Silvesterparty kennen gelernt, und schon einen Monat später waren sie verheiratet, alles ging sehr schnell. Damals lebte mein Mann noch, er mochte Ben sehr, er war wie ein Sohn für ihn. Ben hatte keine Verwandten, er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und schon in jungen Jahren zur See gefahren, auf Öltankern und so weiter. Soviel ich weiß, ist er immer Seemann gewesen.«
Sie blickte auf, als Judith hereinkam. Sie hatte sich das Gesicht gewaschen und frisches Make-up aufgelegt, ein klein wenig zu hastig, wodurch eine schwache Spur von Schwarz unter ihrem linken Auge zurückgeblieben war. Ihre Mutter klopfte auf die Armlehne des Sessels neben ihrem.
»Geht es, mein Kind?«, fragte sie.
Judith ignorierte ihre Mutter. Sie setzte sich hin und wandte sich direkt an Kleiweg. Es schien, als habe sie sich wieder unter Kontrolle.
»Wo ist es passiert?«, fragte sie nur.
»In einem Hotel in der Nähe von Geldermalsen.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Was hat Ben da gemacht?« »Das wissen wir noch nicht genau.« Kleiweg hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was Ben da gemacht hatte, aber er beschloss, den zweiten Schock noch ein wenig hinauszuzögern. »Er wurde nach Den Bosch überführt«, sagte er. »Ich hoffe, dass Sie … Jemand von Ihnen wird ihn dort identifizieren müssen.«
Sie ging darüber hinweg. »Wie ist es passiert?«
»Er wurde erschossen.«
Sie starrte ihn an, mit offenem Mund. »Ermordet?«
Kleiweg nickte.
Sie brauchte eine Weile, um diesen Schock zu verarbeiten. »Könnte es nicht ein Einbrecher gewesen sein, oder vielleicht war es ein Irrtum? Sind Sie sicher, dass man es auf Ben abgesehen hatte?«
»Alles weist darauf hin. Es wurden keine Wertgegenstände gestohlen.«
»Um welche Uhrzeit ist es geschehen?«
»Wahrscheinlich gegen Mitternacht.«
»In einem Hotelzimmer? Lag er im Bett?«
»Ja.«
Ihre grünen Augen glichen dem Wasser eines Fjords. »Geldermalsen, das liegt gerade mal zwanzig Minuten von hier entfernt. Ich nehme kaum an, dass er in einem Hotel abstieg, weil er zu müde war, um noch nach Hause zu fahren.«
Kleiweg erwiderte ihren Blick. »Er war nicht allein«, gab er zu.
Ihrer Mutter entfuhr ein Seufzer. »Judith …«
»Was ist?«, brauste Judith auf. Kleiweg erkannte, dass die Mutter Unrecht hatte und dass Judith nicht nur jünger war, sondern auch zur Hysterie neigte. »Findest du nicht, dass ich ein Recht darauf habe, es zu erfahren? Meinst du vielleicht, dass es mir egal sein sollte? Ben war mein Mann! Er ist ermordet worden, während er mit einer anderen Frau im Bett lag!« Wütend schaute sie Kleiweg an und fragte: »Wer war diese Frau?«
»Das wissen wir noch nicht. Man hat sie ins Krankenhaus gebracht. Sie liegt im Koma.« Er spreizte die Finger.
»Also kann der Mordanschlag auch ihr gegolten haben? Könnte es nicht ihr Mann getan haben oder ihr Freund?«
»Das würde mich wundern.«
»Warum?«
Er schüttelte den Kopf. »Es sieht nicht danach aus …« Er suchte nach den richtigen Worten, schaute ihr in die Augen. »Es sieht nicht nach einem Verbrechen aus Leidenschaft aus. Der Täter hat keinerlei Spuren hinterlassen. Und er hat all ihre Papiere mitgenommen. So etwas tun Profikiller, wenn sie wissen, dass ihr Opfer am Tatort nicht
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