Italienische Novellen, Band 1
zu besuchen. Bianco hatte nichts vom Weggehen des Wirts gehört und glaubte sicher, jener komme, um ihm als dem Hauptmann aufzuwarten. Er ging ihm daher entgegen, sie zogen vor einander die Hüte und nahmen sich bei der Hand. Da wandte sich Bianco zu dem Wirte und sagte lachend: Nun, was sagst du, Wirt? Jetzt siehst du, wie genau du dir gemerkt hast, wie lange es her ist, seit der Hauptmann seinen Einzug gehalten hat!
Der Wirt antwortete: Ihr habt recht; aber Ihr werdet bald in noch größeren Zweifel geraten als ich.
Als der Ratsschreiber dies hörte, wäre er gern in Lachen ausgebrochen. Er war aber besonnen genug, an sich zu halten, wandte sich zu ihm und begann also zu sprechen: Edler Herr, meine Gebieter haben von Eurer Ankunft gehört, und wie Ihr erklärt, Ihr wollet als Hauptmann von Norcia Euren Einzug halten. Darob sind sie über die Maßen verwundert, sintemal und alldieweilen am achten laufenden Monats der Hauptmann von Norcia sein Amt angetreten hat. Sie schicken mich derohalb zu Euch, um zu erfahren, was dies bedeute, und welche Ursache Euch zu solchen Äußerungen bewegt.
Als Bianco diese Worte hörte, war er wie vom Donner gerührt und schien eher tot als lebendig. Er konnte kaum die Lippen bewegen und sagen: Habt ihr mehr als einen Hauptmann?
Nein, bei Gott, antwortete der Ratsschreiber. Darauf besann er sich eine Weile, und da es ihm schien, man habe ihn zum besten, und er der Meinung war, es könne dies von keiner andern Seite als von Norcia ausgehen, verwandelte sich sein Schmerz in Zorn; mit hochrotem Gesicht zog er seine Wahlurkunde aus dem Busen und sprach mit giftigem Tone: Wahrlich, wahrlich, wenn dies mir nicht lügt, so werde ich Hauptmann von Norcia werden; und wenn mir Unbill widerfährt, so gehöre ich einem Lande an, das mich nicht hilflos lassen wird.
Er geriet vollends ganz in Wut und rief: Meint ihr etwa, ihr habt es mit einem rohen Bergvolk zu tun? Ihr werdet sehen, daß die Bürger von Florenz aus einem andern Stoff gemacht sind als die Bergvölker. Wir haben dem Herzog von Mailand den Eigensinn vertrieben und ganz andern Leuten, die um ein gutes Stück gewaltiger aussehen als die Norciner. Glaubt nur nicht, wenn ihr mich habt hierher kommen lassen und ihr nachher das Amt einem andern gegeben habt, ich werde das so hinnehmen! Oder wenn ich nicht zur Zeit gekommen wäre, was zum Teufel hätten sie gemacht!
Außerdem sprach er noch tausend andere Torheiten, welche zu erzählen viel zu weitläufig wäre. Am Ende sagte er zum Ratsschreiber, der die Urkunde zu sehen begehrte: Geht, geht! Morgen früh komme ich zu Euren Herren, und dann will ich's ihnen zeigen; und wir wollen sehen, was sie dagegen vorzubringen Lust haben.
Als der Ratsschreiber ihn so sprechen hörte, hielt er den Mann für eine ganz neue Art von Wahnsinnigen und nahm, ohne sich mit ihm auf viele Weiterungen einzulassen, von ihm Abschied. Der Wirt begleitete ihn, und so kehrte er nach der Stadt zurück und berichtete dem Rat, wie die Sache abgelaufen sei. Sie wunderten sich, wußten sich aber gar nicht vorzustellen, was das sein solle, und sprachen: Der nächste Morgen wird es lehren und uns Aufschluß verschaffen über die Absichten dieses Menschen.
Bianco blieb mit seinen Beamten zurück; sie prüften hin und her die Wahlurkunde und die Worte, die sie gehört hatten, wußten sich aber die Sache nicht anders zu erklären, als daß die Norciner vom Papst oder von irgendeinem andern Fürsten gezwungen worden seien, nachdem sie ihm die Wahlurkunde bereits übersandt hatten, die Wahl auf einen andern zu lenken. Am Ende, als es schon sehr spät war, gingen alle schlafen. Bianco aber konnte die ganze Nacht über kein Auge zutun, vielmehr dachte er unaufhörlich über die Sache nach und konnte kaum erwarten, bis es Tag wurde, um zu erfahren, ob er Hauptmann sei oder nicht; und der Tag war nicht so bald erschienen, als er schon aufstand, mit seinem Gefolge zu Pferde saß und in die Stadt ritt.
Die Neuigkeit hatte sich schon allenthalben verbreitet, und alles lief auf den Straßen umher, um den neuen Hauptmann zu sehen, welcher aus Beschämung nicht wußte, wohin die Augen wenden, und mit gesenktem Haupt einherzog, als wäre ihm sein Weib ins Feuer gefallen. Am Hause der Stadtvorsteher angelangt, stieg er ab, trat hinein und ließ ihnen melden, er sei angekommen. Sie traten sogleich im Ratssaal zusammen, ließen ihn hereinrufen und luden ihn ein, sich neben ihnen niederzulassen. So blieb er eine Weile; dann erhob er
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