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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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wirst du ihretwegen untreu werden, denn du bist selbst nur ein
Sklave deiner Eitelkeit. Du weißt gar nicht, wie eitel du bist. Ich kenne dich
bis auf den Grund deiner Seele, und nur ich weiß, welches Ungeheuer an
Eitelkeit du bist.«
    Stikowitsch antwortete nichts. Im
ersten Augenblick war er von der überlegenen und leidenschaftlichen Rede seines
Freundes überrascht, der nun plötzlich in einer unerwarteten Rolle und einem
neuen Licht vor ihm auftauchte. Dann begann ihm diese bissige, gleichmäßige
Rede, die ihn anfangs beleidigt und herausgefordert hatte, unterhaltsam, ja
fast sogar angenehm zu werden. Einzelne Worte trafen ihn allerdings mitten ins
Herz und taten weh, aber alles zusammen – dieses ganze scharfe und tiefe
Eingehen auf seinen Charakter – schmeichelte und behagte ihm auf eine besondere
Art. Denn einem jungen Menschen wie diesem zu sagen, er sei ein Ungeheuer, das
bedeutet nur, den Trotz und die Eigenliebe in ihm zu kitzeln. Und wirklich
wünschte er, Glasintschanin möge das grausame Wühlen in seinem Innern, diese
grelle Projektion seiner versteckten Persönlichkeit fortsetzen, denn er fand
darin nur einen weiteren Beweis seiner Außergewöhnlichkeit und seiner
Überlegenheit. Sein starrer Blick ruhte auf der weißen Tafel der Mauer
gegenüber, die sich im Mondlicht vom roten Stein abhob. Unverwandt starrte er
auf diese unverständliche türkische Inschrift, als läse und erriet er aus ihr
den tieferen, wahren Sinn dessen, was ihm dieser böse Freund neben ihm scharf
und überlegt sagte.
    »Auf nichts kommt es dir an, und in
Wahrheit liebst du weder noch haßt du, denn für das eine wie das andere muß
man, wenigstens für einen Augenblick, aus sich herausgehen, sich aussetzen,
vergessen, über sich und seine Eitelkeit hinausgehen. Und das kannst du nicht;
es gibt auch nichts, wofür du es tun würdest, selbst wenn du es könntest.
Fremder Kummer kann dich nicht rühren, noch weniger dich schmerzen, nicht
einmal dein eigener, es sei denn, er schmeichelte deiner Eitelkeit. Du wünscht
dir nichts und freust dich über nichts. Du bist nicht einmal neidisch, aber
nicht aus Güte, sondern aus grenzenloser Selbstsucht, denn du bemerkst fremdes
Glück nicht einmal, ebensowenig wie fremdes Unglück. Dich kann nichts rühren
oder bewegen. Du machst vor nichts halt, nicht weil du mutig bist, sondern weil
in dir alle gesunden Neigungen verkümmert sind, weil es für dich, neben deiner
Eitelkeit, weder Blutsbande noch angeborene Rücksichten, weder Gott noch die
Welt, weder Verwandte noch Freunde gibt. Du schätzt nicht einmal deine eigenen
Fähigkeiten. Statt des Gewissens kann dich nur verletzte Eitelkeit brennen,
denn nur sie allein spricht immer und in allem aus dir und diktiert dein
Verhalten.«
    »Sagst du das wegen Zorka?« sagte
Stikowitsch plötzlich.
    »Wenn du es durchaus willst, wir
können auch davon sprechen. Ja, auch wegen Zorka. Auch um sie ging es dir
nicht soviel. Auch das war nur deine Unfähigkeit, vor irgend etwas haltzumachen
oder dich zu beherrschen, wenn es sich dir zufällig und im Augenblick anbietet
und deiner Eitelkeit schmeichelt. Ja, du eroberst arme, verwirrte und
unerfahrene Lehrerinnen, so wie du Artikel und Gedichte schreibst, Reden und
Vorträge hältst. Und noch hast du sie nicht völlig erobert, da fallen sie dir
bereits zur Last, denn schon schreit deine Eitelkeit nach mehr und blickt
gierig weiter. Aber das ist auch dein Fluch, daß du nirgends verweilen und
niemals satt werden und Befriedigung finden kannst. Du unterwirfst alles
deiner Eitelkeit, aber du bist ihr erster Sklave und größtes Opfer. Mag sein,
daß du noch viel Ruhm und Erfolg erringen wirst, größere Erfolge, als es die
Schwäche verrückt gemachter Frauen ist, aber in keinem einzigen wirst du
Befriedigung finden, denn deine Eitelkeit wird dich weitertreiben, weil sie
alles verschlingt, auch die größten Erfolge, und sie sofort vergißt, jeden,
auch den kleinsten Mißerfolg und die kleinste Beleidigung aber behält sie ewig.
Und wenn sie alles um dich herum entblättert, gebrochen, beschmutzt, erniedrigt,
vertrieben oder vernichtet hat, dann wirst du in dieser Wüste allein bleiben,
von Angesicht zu Angesicht mit deiner Eitelkeit, und du wirst nichts haben, was
du ihr anbieten könntest, und dann wirst du dich selbst auffressen, aber auch
das wird dir nichts helfen, denn deine Eitelkeit, an bessere Bissen gewohnt,
wird dich als Nahrung verschmähen und verwerfen. So bist du, auch wenn du in
den

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