Jägerin der Nacht 03 - Dawnbreaker
erkennen, dass die Nacht für den jungen Nachtwandler nicht gut verlief.
Als ich in die Garage fuhr, öffnete ich meinen Geist und folgte der Spur bis zu ihm. Er stand an einem der Fenster im ersten Stock, die auf den Vorgarten hinausgingen, und in seinem Inneren herrschte ein Chaos aus Schmerz, Wut und Verwirrung. Die Naturi mochten nur Amanda entführt haben, aber sie hatten auch Tristan verwundet.
Bis auf das Licht, das durchs Fenster sickerte und seine blasse Haut schwach schimmern ließ, war das Zimmer dunkel. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stand mit hochgezogenen Schultern da, während sein ganzer Körper vor Anspannung zitterte. Sorgenvoll und ohne ein Wort zu sagen, beobachtete ich den jungen Nachtwandler. Ich durfte ihn hier nicht weiter über den düsteren Gedanken brüten lassen, die ihn quälten. Seit er in meine Domäne gekommen war, hatte ich ihn noch nicht ein einziges Mal fröhlich erlebt.
Sarkasmus, Verbitterung, Besorgnis und Melancholie, das waren die Gefühle, auf die er sich zurzeit anscheinend beschränkte, trotz meiner Bemühungen, dafür zu sorgen, dass er sich wie zu Hause fühlte. Aber das war auch verständlich. Immerhin hatte er mit seiner neuen Situation hier in Savannah noch genauso zu kämpfen wie mit seiner Vergangenheit an der Seite unserer Schöpferin Sadira.
Wir alle wurden irgendwie von Geistern heimgesucht, und die meisten waren nicht so leicht auszutreiben.
„Wie geht es Amanda?", fragte ich, da ich mir sicher war, dass sie irgendwie der Grund für seine düstere Stimmung sein musste. „Keine Ahnung. Da musst du schon sie oder Knox fragen." Er wich meinem Blick aus, während er sprach. „Was ist passiert?" Ich kam ins Zimmer und blieb neben dem Kingsizebett stehen, in dem noch nie jemand geschlafen hatte. „Die Naturi, das ist passiert", fauchte er zurück. „Statt Sadira machen mir jetzt eben die Naturi dieses endlos lange Dasein zur Hölle."
„Was hat sie gesagt?", fragte ich behutsam und fürchtete mich insgeheim vor der Antwort. „Sie lässt mich nicht an sich heran", sagte er. Tristan wirbelte zu mir herum und seine blauen Augen glühten in der Dunkelheit. „Sie hat nur Knox erlaubt, ihr zu helfen. Nur Knox durfte sie anfassen." „Sie hat eine Menge durchgemacht, Tristan. Knox steht ihr sehr nahe", sagte ich behutsam und versuchte, ihn zu beschwichtigen. „Nein! Es hegt daran, dass ich sie nicht vor den Naturi und den Gestaltwechslern beschützen konnte. Ich hätte Herr der Lage sein und sie vor dem Überfall der Naturi beschützen müssen. Aber ich hab´s nicht geschafft. Ich habe sie im Stich gelassen, und deshalb wurde sie entführt."
Er griff nach einer zerbrechlichen Schneekugel auf dem Tischchen neben sich und schleuderte sie quer durch den Raum gegen die gegenüberliegende Wand. Ich machte einen hastigen Schritt zur Seite und konnte sie gerade noch auffangen und auf dem Bett in Sicherheit bringen. „Sadira hat mich zu einem Dasein als Schwächung verdammt", tobte er weiter, die Hand zitternd vor sich ausgestreckt. „Du bist noch jung", entgegnete ich. „Ich bin schwach für jemanden in meinem Alter. Leugne das nicht!", sagte er und durchbohrte mich mit seinem wütenden Blick. „Ich leugne es ja gar nicht", sagte ich achselzuckend.
„Du bist schwach für einen Nachtwandler deines Alters. Aber das ist nicht deine Schuld. Sadira hat dir das angetan. Sie wollte dich kleinhalten, nachdem sie sich an mir die Finger verbrannt hatte." Tristan raufte sich mit beiden Händen das schulterlange braune Haar und drehte sich wieder zum Fenster. „Ich bin völlig nutzlos", murmelte er. „Sie hat mich zu einem Versager gemacht." „Hör auf damit!" Meine Stimme knallte wie eine Peitsche und ließ ihn zusammenzucken. „Das ist Blödsinn, und das weißt du auch. Du bist nicht nutzlos. Ich verschwende meine Zeit nicht mit nutzlosen Kreaturen."
„Warum?", fragte er kopfschüttelnd, als er sich nach mir umdrehte. „Warum hast du mich aus Sadiras Klauen befreit? Das habe ich nie begriffen?" „Weil ich gesehen habe, dass du das Potenzial hast, Großes zu leisten, und so jemanden wollte ich an meiner Seite haben", gestand ich und grinste unverfroren. Ich war wirklich der Überzeugung, dass er großes Potenzial hatte, wenn er sich bloß endgültig aus Sadiras erstickender Umarmung befreien würde. Wir alle hatten Narben auf unserer Seele davongetragen. Tristan musste einen Weg finden, diese Wunden zu seinem Vorteil zu nutzen.
„Was ist mit
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