Jasmin - Roman
Allah, ich weiß es nicht. Eines Tages ist ein Gefängnisoffizier an mich herangetreten und hat gesagt, dass ein wichtiger Mann aus Bagdad mich in Bälde hinausschleusen wird. Ich war sicher, dass es eine Falle wäre. Aber er gab keine Ruhe und schwor es mir bei Muhammad und bei seinen Kindern. Eine Weile danach traf der Gefängnisdirektor aus Bagdad zu einem Kontrollbesuch ein. Man erzählte sich, dass er ein Mensch sei, der seine eigene Mutter für ein gutes Geschäft verkaufen würde, und dass er ein ranghoher Offizier in der Armee gewesen sei, aber nach der Ermordung von Abd al-Karim Qasim in den Gefängnisdienst überstellt wurde, eine Versetzung, die ihn demütigte und in ihm den Wunsch nach Rache weckte. In der Nacht brachten sie mich zu ihm, und er sagte mir, dass mich Londoner Kreise befreien wollten und bereit seien, eine Menge zu zahlen …«
»London?«, unterbrach ihn meine Mutter. »Kabi ist dort …«
»Was dir alles einfällt, Frau«, schmunzelte mein Vater.
»Ich habe nächtelang nicht geschlafen. Ich glaubte es nicht. Auf der anderen Seite dachte ich, weshalb sollten sie mir jetzt
eine Falle stellen, sie hätten mich doch jeden Tag im Laufe dieser zwanzig Jahre aufhängen können …«
»Wir haben die ganze Welt in Bewegung gesetzt, um dich zu befreien«, sagte mein Vater wieder.
»Ich beschloss, es zu riskieren. Was hatte ich zu verlieren? Es vergingen eine Woche, zwei Wochen, ich dachte, sie hätten die ganze Sache vergessen. Eines Nachts, nach dem Gefangenenappell, holte mich der Offizier ganz einfach aus der Festung, und nach stundenlanger Fahrt in einem Militärfahrzeug übergab er mich drei Beduinen und sagte: ›Das sind deine Fluchthelfer, Friede sei mit dir.‹
Die Beduinen zogen mir einen Frauenumhang an, verschleierten mich völlig und verboten mir zu sprechen. Dann fuhren wir weiter. Ich wusste nicht, wohin. Hin und wieder warnten sie mich vor Kontrollposten. In der Nacht stiegen wir aus dem Wagen und gingen zu Fuß weiter, Stunden gingen wir durch die Dunkelheit, bis sie mich an drei andere Beduinen ablieferten, die schon zwei ›stumme Frauen‹ wie mich dabeihatten. Es war heiß, eine höllische Hitze. So wusste ich, dass wir im Süden sein mussten. Am Abend roch ich Wasser, ein angenehmer Wind fing an zu wehen, und ich vermutete, dass wir uns nahe einem Fluss befanden. Und tatsächlich gelangten wir an einen großen Sumpf, wo sie mich und die beiden anderen ›Frauen‹ auf ein Boot beförderten, und so überquerten wir in der Nacht die Grenze.«
»In den Iran? Tausendundeine Nacht!« Meine Mutter war ganz aufgeregt.
»Auch im Iran wurde ich von Hand zu Hand und von Ort zu Ort weitergereicht. Am Schluss brachten sie mich in einer billigen Herberge unter und sagten mir, ich solle nur aufmachen, wenn ich zwei Klopfzeichen, Pause und noch zweimal Klopfen hörte. Was soll ich euch sagen, ein Spionageroman, wie er im Buche steht. Nahe Mitternacht hörte ich die Klopfzeichen. ›Schalom‹, sagte jemand auf Hebräisch und fügte in unserem jüdischen Arabisch hinzu, ›keine Angst, du bist in guten Händen.‹ Er
gab mir Männerkleidung, wir fuhren zum Flughafen, ich weiß nicht, wo wir waren, und von dort aus flogen wir nach Teheran. Am nächsten Tag brachte er mich dort wieder zum Flughafen, gab mir eine Mappe mit Dokumenten und sagte zu mir: ›Gute Reise, du fliegst nach Israel.‹ Und hier bin ich.«
»Ja Allah, gelobt sei sein Name!«, rief meine Mutter aus. »Abu Kabi, bring ihn morgen in der Früh in die Synagoge, um Dank zu sagen.«
Nach Abschluss des Essens streifte Chizkel seine Schuhe ab und setzte sich im Schneidersitz mit einem Gläschen Arrak in der Hand aufs Bett.
»Wie geht es unserem Vetter, dem Kommunisten, Salim Effendi?«, fragt er.
»Asche auf sein Haupt, er und sein Kommunismus«, antwortete mein Vater und fragte: »Hast du von Chruschtschows Rede gehört? Von den Millionen, die Stalin ermordet hat?«
Chizkel nickte.
»Es ist ihm viel widerfahren. Ich weiß nicht, was er heute macht.«
»Er hat eine Import-Export-Vertretung im Gazastreifen«, sagte ich.
»Hat das Kommunistische Manifest gegen Dinare eingetauscht«, grinste mein Vater.
»Und Abu Zalah al-Chibaz, der ihn gerettet hat, wurde hingerichtet!«, stellte Chizkel erbittert fest.
»So ist das«, seufzte mein Vater.
»Und was ist aus deinem Traum geworden, Reis anzubauen?«, fragte Chizkel.
Mein Vater schwieg, zog die Gebetskette heraus und drehte die Perlen.
»Wir werden sehen, was sie im
Weitere Kostenlose Bücher