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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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könnten, aber er tat nichts, wollte es zwar, schreckte jedoch im letzten Moment davor zurück und schob es immer wieder auf.
    Vor allem brauchte er jetzt Erholung, ein bisschen Ruhe, Abstand von diesen Spannungen. Er dachte daran, Umm Zaki, die Haushälterin, in seine Winterwohnung bei Jericho zu schicken, damit sie alles vorbereitete, vergaß aber, es ihr zu sagen. Auch um sich auszuruhen, brauchte man Seelenruhe.
    Wenn wenigstens seine Gesundheit in Ordnung gewesen wäre. Wenn wenigstens dieser verrückte Husten verschwinden würde. Seit der Nacht der Bombardierung von al-Mudawara hatte er ihn nicht mehr verlassen. Die Ärzte im Augusta-Victoria-Krankenhaus hatten zunächst Asthma diagnostiziert, danach sagten sie, es handle sich um eine Allergie. Sie untersuchten ihn und fanden nichts. Forderten ihn auf, das Rauchen aufzugeben. Wer konnte das schon? Schlugen ihm vor, sich auch von den Spezialisten in Israel untersuchen zu lassen, doch er hatte sich geweigert. Umm George sagte, er sabotiere seine Gesundheit. »Warum solltest du nicht zu den Juden gehen? Was haben wir denn vor al-Nakbe gemacht, sind wir da nicht ins Hadassa-Krankenhaus gegangen?«
    Er bemühte sich, irgendeine Routine seiner Welt beizubehalten, fuhr fort, jeden Morgen mit Abu Nabil zu frühstücken. Doch wenn sein Freund ins Redaktionsbüro ging, obwohl die Zeitung stillgelegt war, ertappte er sich dabei, wie er ins Büro des Restaurants ging, die Rechnungen wie nebenbei kontrollierte, das Lager inspizierte, sich nach dem Wohlergehen der Angestellten erkundigte, halbherzig, innerlich leer. Ruhelos wanderte er
durch die Stadt, betrat Läden, saß auf einem Schemel auf ihrer Schwelle, trank Kaffee, betrachtete die Passanten, wechselte belanglose Sätze mit seinen Gastgebern und ging weiter zur nächsten Station.
    Jeden Morgen wartete er auf den Abend, auf die Dämmerung, und dann kehrte er nach Hause zurück. Schon in der Diele legte er Jackett und Krawatte ab, zog den Hausrock an, holte den Wodka aus dem Gefrierschrank, schenkte sich ein Gläschen ein und trat in den Garten hinaus. Angesichts der Wasserpflanzen im erleuchteten Teich, der bunten Fische, die sich sorglos tummelten, schmolz der quälende Klumpen in seinem Hals ein wenig, bis ihn die Erinnerung an das, was er vergessen wollte, wieder einholte: die Niederlage von 48, die Flucht aus seinem Haus in Talbieh, die provisorische Unterkunft bei den Verwandten in Bethlehem, seine zögerlichen Schritte bezüglich einer Emigration nach Amerika, wie es sein Bruder gemacht hatte, und der Fall, die zweite Niederlage. Fehlschläge und Unglücksfälle, die ihn nicht verließen. So saß er im Garten am Rande des Wasserbeckens, wartete, bis Umm George von der Arbeit in ihrem Restaurant zurückkehrte, bereitete ihr ein heißes Getränk zu, einen Aufguss aus frischer Minze und Luizakraut, den er eigens für sie braute. Wenn sie käme, würde er sie auf die Stirn küssen, seine Arme um ihre Taille legen und seinen Kopf in ihrem Schoß vergraben wie ein Knabe.
    Gestern hatte sie ihm einen merkwürdigen Traum erzählt, den sie schon seit ein paar Nächten träumte: Jasmin, in weißen Hosen und weißem Hemd, ein rotes Tuch um den Hals gebunden, stieg von einem weißen Schiff herunter und rannte in ihre Arme.
    Als Jasmin vor fünf Jahren nach Paris gefahren war, hatte Umm George zu ihm gesagt: »Vielleicht bringt diese Reise eine Veränderung zum Guten. Vielleicht wird sie dort nach der Luftveränderung die Scherben einsammeln nach Azmis Tod, wird studieren, junge Leute aus aller Welt treffen, aus der Trauer herausfinden, den mitleidigen Blicken entkommen, die hier in
al-Quds auf sie gerichtet sind.« Als sie nicht zurückkam, während die Jahre verstrichen, änderte sie ihren Kommentar: »Unser Mädchen ist mutig und kühn. Sie hat das sichere warme Nest verlassen und eine Karriere angefangen, ihren eigenen Weg, ein unabhängiges Leben. Geduld. In Bälde wird unsere Tochter, inschallah, ohne Ängste und Kummer zu uns zurückkehren. Sie braucht ihre Zeit.« Doch die Zeit tat nicht das Ihre, Jasmin zögerte die Rückkehr hinaus. »Alles in al-Quds erinnert mich an Azmi und das Zerbrechen meiner Welt«, schrieb sie.
    Das Leben war rätselhaft, wer konnte jemals das Ende oder den Anfang einer Sache voraussehen? Wenn er 48 nicht aus Talbieh geflohen wäre, hätte sie Azmi vielleicht nie getroffen, und all das Leid wäre vermieden worden. Wohin ist es mit mir gekommen, dachte er, dass ich solche Überlegungen

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