Jasmin - Roman
damit ging er hinaus, um mit einem alten Herrn zu flüstern, der an einem Tisch am Ende des Ladens saß. Als er zurückkam, trug er Krawatten in der Hand. »Es lohnt sich, zwei zu haben, das ist eine Bereicherung.«
»Und mein Ruin«, sagte ich.
»Keine Sorge, ich habe Ihnen einen Nachlass von zwanzig Prozent und zwei Zahlungsraten verschafft sowie eine Krawatte auf Rechnung des Hauses«, erwiderte der Verkäufer. »Ich habe dem Besitzer erzählt, dass es Ihr erster Anzug ist.«
Als ich hinausgehen wollte, hielt mich der Besitzer auf: »Da Sie mit unseren Vettern arbeiten werden, hören Sie sich bitte eine Geschichte an. Der Sohn meiner Schwester war Regimentskommandeur im Unabhängigkeitskrieg. Als sie Ramle erobert hatten, kamen die arabischen Würdenträger und standen zitternd vor Angst vor ihm. Der Älteste unter ihnen eröffnete das Gespräch mit der Frage: ›Herr Kommandeur, wir möchten wissen, was Sie mit uns zu tun gedenken.‹ Mein Neffe blickte ihn an und sagte: ›Wir werden genau das mit euch machen, was ihr mit uns tun würdet.‹ Alle schrien auf und brachen in Gejammer aus. Verstehen Sie, wie sie sind?«, seufzte er.
»Was soll man machen? Nachbarn sind kein Anzug nach Maß«, sagte der Verkäufer und versah mich noch mit einem guten Rat:
»Man darf den Gojim niemals glauben, nicht einmal nach vierzig Jahren im Grab.«
Zur Sitzung bei der Militärverwaltung traf ich mit Verspätung ein. Mein Kollege leitete sie auf seine nüchterne, sorgfältige Art. Er gab einen Überblick über neue politische Organisationen und sagte einen Führungswechsel im Kreise der Palästinenser voraus.
»Ahmed Schukeiri werden sie hinauswerfen«, meinte er.
Schamluk, der Vertreter des Geheimdienstes, berichtete von einem aufsteigenden Führer, Muhammad Jasser abd al-Rahman abd al-Ra’uf Arafat al-Qidweh al-Husseini, der unter der Bezeichnung Abu Amar bekannt war. Ein lediger Ingenieur um die vierzig, in Ägypten ausgebildet, einer der Anhänger von Hassan al-Banna, Führer der extremen revolutionären Bewegung »Muslimbrüder«.
»Sie haben sein Weltbild geformt«, sagte Schamluk und fügte hinzu, dass der Mann dem Geheimdienst wieder entkommen war.
»Dieser Aal kann sogar auf dem Trockenen schwimmen«, zischte mir der Vertreter des Religionsministers leise zu.
10.
INNERE KONFLIKTE
Abu George erwachte früh am Morgen. Nachdem er sich geduscht und rasiert hatte, ging er in die Küche und machte sich im Morgengrauen Tee, stopfte seine Pfeife, steckte sie unangezündet in den Mund, und so saß er lange Zeit im Hausrock da, während er winzige Schlückchen nahm. Er versuchte, die neue Wirklichkeit zu begreifen, die Veränderungen nachzuvollziehen, die vor seinen Augen eintraten. Die Israelis waren in Euphorie, tanzten auf dem Dach der Welt, ihre prahlenden Generäle dachten, sie seien imstande, die Steppen des Urals zu erreichen, die Welt bewunderte sie und sprach von ihnen als einer Großmacht, während seine Landsleute noch nicht aus der Trauerhütte herausgekommen waren, die Niederlage nicht verdauen konnten.
Auch die Menschen in seinem Umfeld hatten sich verändert. Die Juden, die er vor 48 gekannt hatte, Valeiro, Chabillo und Mazursky, kamen aus guten Familien, waren von vornehmer Bescheidenheit, achteten ihn und die Seinen, begegneten ihm mit Unbefangenheit und dem aufrichtigen Willen zusammenzuleben. Zwanzig Jahre waren seitdem vergangen, und es schien, als beherrschten nun fremde Juden die Alteingesessenen oder als beherrsche ein anderer Geist ihre Welt. Es genügte ein Blick auf den Basar, um die Unterschiede zu erkennen: die begehrlichen Augen, die tastenden Hände, die Versessenheit, mit der sie − wie entlassene Sträflinge das im Gefängnis Versäumte − alles an sich reißen wollten. Bis sie sich beruhigen und bis wir auf dem Boden landen, bis wir alle zu einem nachbarschaftlichen Leben reifen, werden ein, zwei, vielleicht noch mehr Generationen vergehen, dachte Abu George. Denn bei uns verschließen sie die Augen,
klammern sich an die Verleugnung. Sogar er, Abu George, ging in der Nacht mit der Hoffnung zu Bett, beim Aufstehen zu entdecken, dass der Eroberer verschwunden war, weg. Die Okkupation machte ihn wahnsinnig, als sei ein Fremder in sein Bett eingedrungen und verfahre mit seiner Frau wie mit seiner eigenen.
Und so wartete er weiter, wusste nicht, worauf. Auch mit der Zeitung. Der dünne junge Mann, der Berater des Ministers, hatte gesagt, dass sie die Zeitung wieder herausgeben
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