Jasmin - Roman
öffnete, fand er kleine Kartonschachteln, und er griff nach einer davon, als sei es Sprengstoff:
»Was ist das, Madame la princesse?«
»Machen Sie es auf, und Sie werden es sehen.«
Seine Finger rissen die Hülle eines Päckchens auf, das er einer der Schachteln entnahm. Kleine weiße Röllchen verstreuten sich in alle Richtungen.
»Was ist das?«
»Watte, die Frauen benutzen, wenn sie ihre Periode haben. Tampons! Hygienischer und ästhetischer und angenehmer als bloß irgendeine Watte.«
Der Soldat blickte sie ungläubig an, zerzupfte eines der Röllchen zwischen seinen Fingern und kicherte verlegen: »Packen Sie die Koffer ein. Sie können gehen.«
»Ich packe gar nichts ein. Sie haben sie geöffnet, Sie packen ein.«
Der Soldat knurrte und schichtete die Kleider schnell in den Koffer. Sie stand da wie eine Salzsäule, den Blick in den Boden gebohrt. Eine rosa Satinunterhose fiel auf den Boden. Der Soldat hob sie zart auf, pustete darauf, als entferne er Staubkörnchen, legte sie in den Koffer, schloss ihn ab und reichte Jasmin den Schlüssel. Er wies mit einer Handbewegung zum Zeltausgang, und diesmal half er ihr nicht beim Koffertragen.
Ihre Eltern warteten im Auto auf sie, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Als sie sie entdeckten, eilte ihr Vater herbei, um ihr
mit den Koffern zu helfen, und fuhr dann sofort los. Jasmins Blick war starr und ihr Mund abweisend. Abu George passierte die Brücke und wandte sich der Straße zu, die nach al-Quds hinaufführte. Als sie sich ein wenig entfernt hatten, ging ihr plötzlich auf, was sie in der Aufregung der Durchsuchung völlig aus dem Bewusstsein verdrängt hatte: Den dritten Koffer, der mit den Büchern, in denen sie die geheimen Briefe versteckt hatte, hatte der Soldat überhaupt nicht geöffnet.
»Gibt es noch einen Kontrollposten auf dem Weg?«, fragte Umm George.
»Ich glaube nicht. Den schwierigsten Teil haben wir hinter uns. Ich hatte Angst, man würde sie nicht hereinlassen und uns an die Stelle für Familienzusammenführung verweisen, und das wäre ein Riesenproblem«, antwortete Abu George. Sie verstand nicht, wovon die Rede war, doch sie hatte nicht die Energie zu fragen.
Als sie nach al-Quds hineinfuhren, wurde sie wieder lebendig, sie wollte die Stadt sehen, die sie vor fünf Jahren verlassen hatte, den Puls ihres Lebens fühlen. Sie war auch neugierig darauf, sie in der neuen Situation zu erleben, wie sah eine besetzte Stadt überhaupt aus? Doch bevor sie dazu kam, ihren Vater zu bitten, eine Runde zu drehen, hatte er sich schon dem Wadi el-Joz zugewandt, und innerhalb weniger Minuten befanden sie sich an dem kleinen Platz nahe ihrem Haus. Das Auto kletterte die schmale Naschaschibistraße hinauf.
Merkwürdig, sie verspürte weder die Feierlichkeit noch die Aufregung, die sie sich anlässlich ihrer Heimkehr erwartet hatte. Für einen Moment stahl sich jenes andere Haus in ihr Bewusstsein, das Haus ihrer Kindheit in Talbieh, und diesmal nicht matt und verschwommen, sondern hell und prächtig. Wieso dachte sie jetzt plötzlich an dieses Haus? Würde sie es wiedersehen wollen?
Das Auto hielt auf dem Parkplatz. Jasmin eilte zu dem eisernen Tor, stieß es mit der Schulter auf wie früher, stand am Eingang
des Gartens und holte tief Luft. Hier lag, was ihr überallhin gefolgt war, ein heißer Sommerduft, durchzogen von den Gerüchen des Wassers des Rasensprengers und des Fischteichs. Das Becken kam ihr kleiner vor als in ihrer Erinnerung, die Bäume, die den Garten umgaben, waren höher, doch die Rosen glänzten immer noch tiefrot. Die drei Eisenstühle in der Mitte des Gartens standen noch an ihrem Platz, die Beine hatten ledigich etwas Rost angesetzt. Eine große Mattigkeit befiel sie. Sie schritt zu einem der Stühle und ließ sich darauf fallen, als ob ihr ganzer Körper nur auf diesen Augenblick gewartet hätte, in dem sie sich im Garten ausruhen könnte, umgeben von der Steinmauer, den Bäumen. Sie wollte versinken, einschlummern, schlafen. Doch ihre Eltern waren ihr gefolgt, lächelten, umarmten und küssten sie mit frohen Gesichtern, als hätten sie sie gerade erst jetzt getroffen. Hier, in ihrer Festung, würde ihr nichts Böses widerfahren.
Sie gingen ins Haus. Ihr Bild blickte ihr aus einer großen Fotografie an der Wand im Wohnzimmer entgegen, das Bild, das Azmi kurze Zeit nach ihrer Hochzeit aufgenommen hatte. Großes Glück strahlte aus dem Gesicht auf dem Foto. Warum hatte Azmi damals nicht zugelassen, dass sie ihn
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