Jasmin - Roman
Es wäre besser gewesen, nicht dorthin zu fahren. Welcher Teufel hatte ihren Vater geritten, als er sie ansehen ließ, was ihr Haus gewesen und für sie zu einem Friedhof geworden war?
Sie erinnerte sich an Bilder aus der Vergangenheit, vor allem an das Pfeifen der Kugeln über der Palme, die damals noch jung und niedrig war und Edna Mazursky und sie wie ein großer Sonnenschirm beschattet hatte. Sie erinnerte sich, wie sie mitten in ihrem Spiel aufgehört hatten, nur halb begreifend, dass etwas passiert war.
Sie erinnerte sich an Ramzi Cheir, den protestantischen Nachbarn, der mit schreckverzerrtem Gesicht in den Hof gelaufen kam, und an die heisere Stimme ihres Vaters, der zu ihnen hinauseilte und befahl, sofort ins Haus zu gehen, sagte, dass sie ganz schnell ein paar der nötigsten Dinge einpacken und fort müssten.
Und Edna, ach, ihre süße Edna, sie sagte kein Wort, rannte nach Hause und kehrte innerhalb weniger Minuten mit ihrem Vater, Herrn Mazursky, zurück, schwitzend und keuchend. Mazursky beschwor ihren Vater wieder und wieder, nicht zu fliehen, dazubleiben. »Kommt zu uns, wir haben genug Platz bei uns. Abu George, bleib da. Ein naher Nachbar ist besser als ein ferner Bruder.«
»Auch ich liebe euch, aber wir sind im Krieg, und er ist stärker als wir«, hatte ihr Vater erwidert. Warum hatte er nicht auf Herrn Mazursky gehört?
Und die kluge, geliebte Edna, sie war noch ganz und gar ein kleines Mädchen, aber sie hatte das Unglück gewittert. Sie weinte und umarmte sie, wollte sich nicht von ihr trennen, als würden sie sich nie wieder sehen. Ihr Vater hatte ihren kleinen Kopf gestreichelt und gesagt: »Keine Sorge, in ein, zwei Wochen, wenn alles vorbei ist, kommen wir zurück.« Ja, in einem einzigen Augenblick war ihnen das Haus verloren gegangen und auch das ruhige, schöne Talbieh mit seinen großzügigen Häusern und der guten Nachbarschaft mit den Juden. Weder ihnen noch der Familie Mazursky war es in den Sinn gekommen, dass dieses Unglück sich zu einer Lawine ausweiten sollte, die unwiederbringlich eine ganze Welt unter sich begraben würde.
Und nun brach wieder eine Welt vor ihren Augen zusammen, al-Quds, das Jerusalem ihrer Jugendzeit. Auf der Rückfahrt gerieten sie in einen Stau. Einheimische Arbeiter rissen die Straße auf und blockierten den Verkehr, arbeiteten fieberhaft mit Presslufthämmern, ihre Gesichter wie Schatten. Überall waren ihre Presslufthämmer und Bulldozer, die ihre Stadt ausradierten. Sogar in das Restaurant, ins al-Hurrije, waren sie eingedrungen. Viele Soldaten, Offiziere und Geheimdienstleute kamen dorthin, beängstigend durch ihre bloße Anwesenheit, ihre Blicke schienen sie zu entkleiden, und sie konnte sich nur hinter ihrer dunklen Sonnenbrille verstecken.
Über Nacht hatte sich der Traum, die Heimat zu befreien, ins Gegenteil verkehrt. Wie hatte die Euphorie von vor dem Krieg wie eine Seifenblase zerplatzen können? Wie hatte sie darauf gewartet, als Siegerin zum Haus Hilmi zurückzukehren und die jüdischen Mädchen zu treffen, die sie im YMCA verspottet und sie wegen ihrer Augenfarbe »Turkisa« genannt hatten, bis sie ihren Vater bat, ihr eine Sonnenbrille zu kaufen, »so eine wie die von Soraya, der Kaiserin im Iran«. Erst gestern hatte doch Nasser
die Entwicklung diktiert, die Schlagzeilen erobert, Nasser, den sie verehrte, seit sie dreizehn war, und von dem sie jedes Bild und jede Rede gesammelt hatte. Wozu war sie gekommen? Um die Juden feiern zu sehen? Sie zog ihre Zigarettenschachtel heraus und zündete zwei Zigaretten an, eine für sich und eine für ihren Vater, der in seinem Schweigen verharrte.
Zugunsten dieses Beamten mit dem arabischen Namen Nuri − als wollte er einen irreführen − musste gesagt werden, dass er keine Spur von Überheblichkeit an sich hatte. Er verhielt sich ihrem Vater und ihr gegenüber respektvoll. Sie hatte ihn beobachtet, beim Aufbruch aus dem Jugenddorf, nachdem sie ins Auto gestiegen war und die Französin mit ihm geflirtet hatte. Vor ihren Augen stand ein zerbrechlicher, dünner Mann, zart und knabenhaft, den Kopf zur Seite geneigt. Ein Zittern durchlief sie, er erinnerte sie so sehr an Azmi…O heilige Jungfrau, nein, wieso denn, und sie strich sich mit der Hand über die Stirn, wie um einen schwindelerregenden Gedanken zu vertreiben.
Ihr Vater hielt neben dem al-Hurrije, stieg einen Moment aus, um nach dem Rechten zu sehen, und als er zurückkam, begleitete ihn ein hochgewachsener israelischer
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