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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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herum, ob da auch ganz sicher kein Insekt mehr krabbelte.
    Bruno entließ die Spinne mit einer Schleuderbewegung hinaus ins dichte Unterholz. »Und sonst? Wie geht es dir? Lange nicht gesehen. Fünfzehn Jahre?« Sein Blick blieb an ihrer Hand hängen, und seine Stimme bekam einen ganz leicht süffisanten Unterton. »Ich sehe, du bist verheiratet?«
    »Oh!« Hilflos drehte sie an ihrem Ring herum. »Um ehrlich zu sein, bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
    »Du bist dir nicht sicher, ob du verheiratet bist?« Er hob eine Augenbraue und grinste belustigt.
    »Na ja. Verheiratet bin ich noch, aber wir leben nicht mehr zusammen, und den Ring bekomme ich einfach nicht mehr vom Finger.« Mimi versuchte, locker zu wirken, aber die Anspannung nahm immer mehr zu. Brunos nackter Unterarm berührte ihren, wie früher beim Klavierspielen. Warum nur konnte sie den Blick nicht von seinen geschwungenen Lippen lösen? Es war, als forderten sie ein uneingelöstes Verlangen ein. Ihn ein einziges Mal zu küssen, um zu erleben, wie sich seine Lippen auf ihren anfühlten. Um endlich zu wissen, wie er küsste. Ließ er sich Zeit, oder waren seine Küsse fordernd und atemlos? Endlich schaffte sie es, hinunter zu seinen Händen zu sehen, die auf seinen Oberschenkeln lagen. Kein Ring am Finger. »Und wie geht es dir? Hast du Lust, mit mir zu Abend zu essen?«, fragte sie mit wackliger Stimme, wobei sie sich schon hinaus in den Wald bewegte. Da drinnen war es definitiv zu eng für sie beide. Vor der Räuberhöhle blieb sie stehen und atmete tief die sommerliche Luft ein. »Es sei denn, du musst schon wieder los?«

16

    Cadaqués, 1933
    Das Glockenläuten der Santa-Maria-Kirche, die erhöht auf einem Hügel im Zentrum lag und alle anderen Häuser mit ihren mächtigen Türmen überragte, breitete sich schwer und melancholisch über dem Fischerort aus, der sich in der Mittagshitze darunter zur Ruhe gebettet hatte.
    Eine Prozession von schwarz gekleideten Trauernden stieg gemächlich die schmalen, von hohen Felssteinmauern eingefassten Gassen hinauf. Sechs Männer trugen Aurelios Sarg. Einer von ihnen war Jacques. Die Trauer umwölkte seine Stirn, auf der feine Schweißperlen standen. Die heiße Luft stach in seinen Lungen. Eine Eidechse floh vor seinen Schritten und verschwand zwischen den schwarzen Ritzen der aufgeschichteten Felssteine.
    Dies waren die »horas azul« des Tages. Friedliche Stunden, in denen die Zeit für gewöhnlich stillstand und nur das Zirpen der Grillen den endlosen Raum bis zum Himmel hinauf erfüllte. Langsam schoben sich die Sargträger an den Zypressen vorbei, durch die eisenbeschlagene Flügeltür der Kirche, in das prächtig verzierte Mittelschiff hinein. Verwandte, Freunde und Weinbauern folgten ihnen und verteilten sich rechts und links auf den Bänken. Und ganz zum Schluss, als gehörten sie gar nicht mehr dazu, traten Emilio Casado und seine Frau Gala in den mit schwerer Orgelmusik erfüllten gotischen Raum. Wie durch ein Kaleidoskop brach die Mittagssonne durch die bunten Mosaikfenster und traf auf den mit Gold überzogenen Altar mit seinen Säulen, filigranen Verzierungen und Darstellungen biblischer Szenen. Zwischen üppigen Kränzen und Blumengestecken setzten die Träger den Sarg in der Apsis ab. Behutsam öffnete Jacques nun den Deckel.
    Beinahe geräuschlos zogen sich die fünf schwarz gekleideten Männer zu ihren Familien ins Kirchenschiff zurück. Nur Jacques blieb dicht bei seinem Vater stehen, der mit gefalteten Händen vor ihm lag und dessen Gesicht im Schein des einfallenden Sonnenlichts seltsam unwirklich aussah. Ein paar Tage zuvor war er während der Weinlese in den Bergen zusammengebrochen. Niemand hatte dieses Unglück kommen sehen. Er war ein starker, robuster Mann mit dem Herzen eines Stieres gewesen. Zumindest hatte er das gern von sich behauptet. »Ich habe das Herz und die Kraft eines Stieres!«, hatte er gesagt, sich die Weinfässer auf die breiten Schultern gehievt und aus dem Kelterkeller die Stufen hinaufgetragen. Bis zu jenem Tag vor fünf Jahren, als Emilio Casado mit seinem Pferdegespann auf ihren Hof galoppiert war und sich von diesem Augenblick an alles verändert hatte.
    Obwohl die darauffolgenden Ereignisse das Leben seines Sohnes betrafen, hatten sie bei Aurelio tiefe Spuren hinterlassen. Jacques hatte seinem Vater nie einen Vorwurf gemacht. Er wusste, dass ihm keine andere Wahl geblieben war, als Emilio Casado zu helfen. Nur hatte Aurelio nie verwunden, dass er seine Familie

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