Jeder Kuss ein Treffer
gelassen.«
VIERZEHN
Wes checkte in einem Motel ein, nahm seinen Rucksack vom Motorrad und suchte sein Zimmer. Er ließ die Tasche aufs Bett fallen, stellte den Fernseher an und ging ins Badezimmer, wo er sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Im Spiegel über dem Becken schaute ihn ein müder, ausgezehrter Mann an. Er ging im Zimmer auf und ab, griff zur Fernbedienung, probierte mehrere Kanäle durch und stellte den Fernseher wieder ab. Schließlich zog er die Stiefel aus und legte sich aufs Bett.
Um kurz nach elf Uhr abends wachte er mit leerem Magen auf. Zehn Minuten später hielt Wes vor einem Diner, dessen blitzende Neonreklame verkündete: We Never
Close.
Drinnen jaulte aus einer Musikbox ein Lied von Patsy Cline und versuchte, gegen den Geräuschpegel aus Stimmen und Gelächter anzukommen.
Wes sah sich um, registrierte die besetzten Tische und hockte sich an die lange Theke. Ein unter der Decke befestigter Fernseher zeigte die Elf-Uhr-Nachrichten. Wes versuchte sie zu verstehen, als Patsy Clines Lied verklungen war, aber sie wurde von Jimmy Büffet abgelöst.
Eine junge Kellnerin, deren Haar einmal zu oft gebleicht worden war, kam auf Wes zugeschlendert. Ihre Augen leuchteten; offenbar gefiel ihr, was sie sah. Ihre Uniform saß sehr knapp, der oberste Knopf war geöffnet, so dass Wes einen un gehinderten Blick auf ihre schweren jugendlichen Brüste werfen konnte. »Was bekommst du?«, fragte sie.
Er wandte den Blick ab. »Eine große Milch und einen Stapel Pfannkuchen.«
»Willst du Kartoffelpuffer dazu? Sind gerade im Angebot.«
»Nein, danke.«
Sie blieb noch etwas länger stehen und klopfte mit dem Stift auf ihre Unterlippe. Ihr Mund war dick mit Lipgloss geschminkt. »Du bist neu hier, oder?«
Er schaute hoch zum Fernseher. »Ja. Zu Besuch.«
Sie lächelte. »Ich habe dein Motorrad gesehen, als du kamst. Wahnsinn! Ich bin ein echter Motorradfan, aber noch nie auf einem gefahren.«
Wes heftete den Blick auf die Mattscheibe. »Dauert das lange mit dem Essen? Ich hab nämlich nicht viel Zeit.«
»Kein Problem. Ich sage in der Küche Bescheid, sie sollen sich beeilen.« Sie schrieb sich etwas in den Block und eilte davon.
Plötzlich erschien das Gesicht von Lamar Tevis im Fernsehen. Wes blinzelte und richtete sich auf dem Barhocker auf. »He, warte, kannst du mal eben den Fernseher lauter stellen?«
»Das dürfen wir nicht.«
Wes lächelte. »Bitte!«
Sie schlenderte auf das Gerät zu, griff nach der Fernbedienung und stellte es etwas lauter. Lamars Gesicht verschwand und wurde abgelöst von einem Foto von Donna Schaefer. Darauf folgte offenkundig eine Privataufnahme, wie sie mit einem in eine blaue Decke gewickelten Baby auf dem Arm das Krankenhaus verlässt. Sie zog die Decke zurück, und es folgte eine Nahaufnahme des Säuglings mit rotem Gesicht und zugekniffenen Augen, die winzigen Fäuste an den Mund gepresst. Ein lächelnder Norm Schaefer kam ins Bild, ganz der stolze Vater.
Wes bemühte sich, etwas zu verstehen, aber die Musikbox übertönte alles.
»Ich kann den Fernseher immer noch nicht hören«, sagte er zu der Kellnerin, als sie ihm die Milch brachte.
»So laut, wie die Musik hier ist, würde man nicht mal einen Güterzug durchdonnern hören«, gab sie zurück. »Warte kurz.« Sie verschwand durch eine Schwingtür. Kurz darauf erstarb die Musikbox. Einige Gäste beschwerten sich.
»Tut mir leid«, rief die Kellnerin und hob die Arme, als hätte sie keine Ahnung, was vor sich ging. »Ist bestimmt wieder eine Sicherung durchgebrannt bei dem dummen Ding.«
Wes grinste und drückte ihr zehn Dollar in die Hand.
Annie, Theenie, Lovelle und Destiny scharten sich um den Fernseher im Sonnenzimmer. Der Nachrichtensprecher verlas die neuesten Informationen über die Ermittlungen im Mordfall Charles Fortenberry. Kurz zuvor hatten Jamie und Max angerufen und Annie gesagt, der lokale Fernsehsender werde die Pressekonferenz live übertragen.
Schweigend beobachteten alle vier Frauen, wie Lamar zum Mikrofon ging, während im Hintergrund ein junger Polizeibeamter alles dafür tat, dass die Kamera sein Gesicht ins Fernsehen übertrug. Er lachte, winkte und sprach lautlos die Worte:
Hallo, Mom!
»Meine Damen und Herren«, begann Lamar mit gebieterischer Stimme. »Wie Sie wissen, untersuchen wir den Mord an dem dreißigjährigen Charles Fortenberry, dessen Leichnam vor weniger als zwei Wochen hinter dem Haus seiner Frau gefunden wurde. Mr. Fortenberry galt seit über drei Jahren als
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