Jillian Hunter
nur den offiziellen Bericht zu lesen: Sein Bruder und Brandon Bos- castle hatten kriegerische Gurkhas in die Hügel verfolgt, wa- ren dort in einen Hinterhalt geraten und dann in einen unzu- gänglichen Abgrund gestürzt, wo sie wilden Tieren und den Naturgewalten zum Opfer gefallen waren.
Zu diesem Zeitpunkt war in Dominic bereits ein schreck- licher Verdacht gekeimt: Sein eigener Onkel, der zugleich Samuels Befehlshaber war, hatte den Hinterhalt in Nepal ar- rangiert. Dominic wusste nicht genau, wann oder wie er an-
gefangen hatte, die Wahrheit zu vermuten. Aber er erinnerte sich, dass seine verstorbene Mutter Edgar nie gemocht und ih- ren Ehemann mehr als einmal gewarnt hatte, dass ihm nicht zu trauen war.
Die Tatsache, dass Colonel Sir Edgar Williams zum Zeit- punkt des Hinterhalts offiziell in Kathmandu zu tun gehabt hatte, bewies seine Unschuld nicht. Es gab immer abtrünnige Söldner in jenem Teil der Welt, wenn man nur genug Geld zur Verfügung hatte.
Ein Geräusch hinter ihm riss Dominic aus seinen Gedan- ken. Es war ein leises Heulen, das nicht ganz menschlich klang. Er fasste nach seiner Pistole, dann hielt er inne.
Das schwere Etwas, das gegen sein Bein stieß, stellte kei- ne Bedrohung dar. Ebenso wenig wie die kalte Schnauze, die seine Hand streifte. Er wandte sich rasch um und fiel in wider- williger Willkommensfreude auf die Knie.
„Ares", sagte er. Sein Lieblingshund saß in freudiger Erwar- tung eines Spazierganges im Wald vor ihm, und seine Augen glänzten in der Dunkelheit.
„Du solltest nicht hier sein", stellte Dominic rau fest. „Ich kann mich nicht um dich kümmern. Hier ist nicht genug Platz für dich."
Doch er konnte auch nicht das Risiko eingehen, den Hund jetzt, mitten in der Nacht, zurück ins Haus zu bringen. Sir Ed- gar las gerne bis spät in die Nacht.
„Ares", sagte er verärgert. „Was soll ich nur mit dir anfan- gen?"
Er richtete sich auf und wandte sich wieder der Treppe zu. Der Hund folgte ihm, als wäre bereits alles entschieden.
Dominic hatte seine Gedanken bereits einem komplizierte- ren Problem zugewandt. Er musste den Brief wieder in seinen Besitz bringen, egal, welches Risiko er eingehen musste, um ihn zurückzubekommen.
Und, was möglicherweise noch gefährlicher war, er musste Chloe Boscastles Zimmer noch einmal einen Besuch abstat- ten.
Keine vierzig Minuten später stand er in ihrer Schlafkam- mer, und der Brief steckte zusammengefaltet in seiner Tasche.
Chloe hatte den schnellen Diebstahl verschlafen. Er beobach- tete sie von der Tür zum Ankleidezimmer aus und ermahnte sich selbst, zu verschwinden, solange es ihm noch möglich war.
Doch die Verlockung, sie zu berühren, war zu groß. Zwar hatte Dominic sich selbst versprochen, dass er nichts tun würde, außer den Brief zu holen und wieder zu verschwinden, bevor sie aufwachte. Aber als er einen letzten Blick riskierte, war er wie versteinert. Er trat durch die Tür.
Natürlich war sie nicht wie die klassische schlafende Jung- frau ordentlich auf dem Bett arrangiert. Stattdessen lag sie quer über dem Bett, und ihre wirren schwarzen Locken um- rahmten das Gesicht mit der gerunzelten Stirn. Sie hatte eines ihrer Kissen auf den Boden getreten, als hätte sie im Schlaf gegen irgendjemanden oder irgendetwas angekämpft.
Die Bettdecke war um ihre schlanken weißen Beine gewi- ckelt. Er nahm einen tiefen Atemzug. Es bewegte ihn, wie verletzlich sie aussah, wie sie nicht einmal im Schlaf ihren Frieden fand. Er war sich nicht sicher, wie es einem Mann gelingen sollte, ihren ruhelosen Geist zu bändigen. Vielleicht war es besser, ihn einfach zu genießen.
Sein Blick folgte der Linie ihres angewinkelten Knies bis zu der Höhlung zwischen ihren Beinen. Ihr Leinennachthemd bot ihr kaum Schutz vor seinen hungrigen Blicken.
Er trat näher an das Bett. Zwischen ihren Oberschenkeln konnte er den Schatten dunkler Locken sehen. Sein Inneres verkrampfte sich bei dem Anblick. Er brauchte sie so sehr, ver- zehrte sich danach, sich in ihrer zarten Wärme zu vergraben.
Während er auf der Bettkante saß, lauschte er ihrem eben- mäßigen Atem. Wovon träumte sie? Einen Augenblick später fuhr er sanft mit dem Zeigefinger über ihre Stirn, als wollte er den finsteren Ausdruck von ihrem Gesicht vertreiben. Sie regte sich und streckte sich zu ihm hin. Er starrte ihren wei- ßen Hals an, ihre üppigen Brüste, ihren entspannten, arglos einladenden Körper.
Mit dem Finger fuhr er über ihr Schlüsselbein, neckte die
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