JörgIsring-UnterMörd
seinen Sitz hat. Und das ist nun mal Berlin. Außerdem begreife
ich nicht, was daran schwer sein sollte, einen polnischen Regierungsvertreter
von Warschau nach Berlin zu schicken. Wir reden hier von zwei Flugstunden.«
Dahlerus spürte, dass er in dieser Sache wenig erreichen würde. Hitler und
Göring hatten nicht vor, von ihrem Plan abzuweichen.
»Wann läuft die Frist aus?«
»Um Mitternacht. Die Briten haben also noch mehr als zehn Stunden, um den
Polen ein wenig Feuer unterm Hintern zu machen. Dafür werden sie mit einem
Angebot belohnt, das unseren beiden Völkern ein friedliches Miteinander
ermöglicht. Sagen Sie das Ihren englischen Freunden.«
Dahlerus beendete das Gespräch und informierte Cadogan über das, was Göring
ihm erzählt hatte.
Cadogan verzog
keine Miene. »Etwas anderes habe ich nicht erwartet.«
Chamberlain bat
Dahlerus, so schnell wie möglich die Rückreise anzutreten. Man brauche ihn wegen
seiner direkten Verbindung zu Göring in Berlin. Sollte die Situation
eskalieren, würde der Schwede einen schnelleren Zugang zur deutschen Regierung
besitzen als der englische Botschafter.
Dahlerus gefiel
die Vorstellung nicht, dass der britische Premier offenbar mit dem Schlimmsten
rechnete. Chamberlain bat den Schweden zudem, die deutsche Führung darüber in
Kenntnis zu setzen, dass die Briten weiterhin an einer friedlichen Lösung des
Konflikts interessiert seien. Um sich auf den aktuellen Stand zu bringen,
sollte Dahlerus nach seiner Ankunft in Berlin jedoch zuerst die englische
Botschaft aufsuchen. Falls es Beschlüsse gebe, die seine Aufgabe beträfen,
würde er dort darüber informiert.
Als der Schwede sich verabschiedete, musste er feststellen, dass sich die
Stimmung seit seiner Ankunft nicht verbessert hatte. Die Gesichter, in die er
schaute, wirkten ernst. Dahlerus wagte es nicht, das Wort hoffnungslos zu
denken. Aber in den glanzlosen Augen der alten Männer, die um ihn herumstanden,
meinte er schon die Resignation angesichts der heraufziehenden Schrecken zu
erkennen. Der Krieg warf seine Schatten voraus und verdunkelte ihre Seelen.
Der Schwede fühlte sich müde.
Im Foreign Office warteten Spencer und die anderen. Sie führten Dahlerus
in ein Restaurant, löcherten ihn mit Fragen über die Lage, erreichten aber nur,
dass der Schwede sich am Ende völlig verschloss. Etwas enttäuscht brachte
Spencer seinen Freund am späten Nachmittag zum Flughafen. Um 18 Uhr hob
Dahlerus Richtung Berlin ab.
Zu diesem Zeitpunkt
war Christa Riedel bereits drei Stunden tot. Ihr letzter Gedanke hatte Philipp
gegolten, Hitlers heimlichen Sohn, den Benslers Männer gerade in dem Moment
aus dem Haus schafften, als der Nazi Christa sein Messer ins Herz rammte.
22.
Postdam
30. August Odas Jagdhütte, Morgen
Morgennebel hing über der Lichtung und schluckte alle Geräusche. Nur
schemenhaft schimmerten Bäume durch den weißen Schleier. Eine
Märchenlandschaft, dachte Krauss. Er fühlte sich abgeschnitten von der Welt,
auf einer Insel des Friedens und der Stille, jenseits aller Schrecken. Oda
hatte ihn wie eine mildtätige Fee herausgepflückt aus dem Chaos, ihn zur
Einkehr, zur Meditation, zum Innehalten gezwungen. Oda. Immer wieder Oda. Von
der ersten Begegnung an hatte er eine Nähe zu ihr gespürt, etwas, das sie beide
schicksalhaft miteinander verband. Es war nicht diese tiefe, uneingeschränkte
Liebe wie bei Hanna, sondern etwas anderes, schwer Bestimmbares. Eine
Verwandtschaft im Schmerz. Der Geruch der Verzweiflung. Durch ihre Adern floss
derselbe brennende Hass.
Krauss schloss die Augen. Er bereute die vergangene
Nacht nicht, aber er war auch nicht stolz darauf. Beide hatten sie Trost
gesucht und gefunden. Hanna würde das verstehen, redete er sich ein. Ihn
fröstelte vor dem großen Fenster, er verschränkte die Arme vor der nackten
Brust. Er hatte sich aus dem Bett geschlichen, ohne sich etwas überzustreifen,
weil er Oda nicht wecken wollte. Nun spürte er, wie die morgendliche Kälte in
seine Knochen drang. Gerade als er sich vom Fenster wegdrehen wollte, schmiegte
sich Oda von hinten an ihn. Ihr nackter Körper erschien ihm so warm wie
glühende Kohle.
»Einen Moment habe ich geglaubt, du seiest verschwunden.« Sie klang
schläfrig.
»Wo sollte ich denn hin?«
»Ich weiß es nicht. Weg von mir.«
»Red keinen Unsinn.«
Sie schwieg einen Moment, hielt Krauss weiter
umschlungen. »Hast du ein schlechtes Gewissen?« »Warum sollte ich?«
»Wegen mir. Wegen uns. Wegen letzter Nacht.«
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