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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Ungefährismus profitierten allerdings zu viele Leute, als dass Blaschke die Auswirkungen einer solchen Vernunftreform, wie Sprißler sie forderte, sofort und weit genug übersehen konnte, um Sprißler seine Unterstützung zusagen zu können. Am Ende des kurzen Gesprächs, bei dem Blaschke nur die formelhaft schlaffe Zusage machte, das könne und müsse man alles in Ruhe bedenken und besprechen, zweifelte Sprißler an der Neutralität von Blaschkes Absichten. Von den Meyerhillmitarbeitern Zedlitz und Katzenberger, von Thewestellvertreter Diemers und dem Beragberater Salger hatteBlaschke in seinen Ausführungen über die Abläufe bei der Arrow PC mehr geredet als von Meyerhill, Thewe, Holtrop oder ihm selbst, Sprißler. Blaschke war gar nicht die Vernunft des Organisatorischen, als die er überall auftrat, sondern einfach nur der mit dem bestehenden Wirrwarr komplett identische, finale Apparatschik, den Sprißler folglich eventuell als erstes zur Seite würde räumen müssen, um zu vernünftig durchgreifenden Änderungen bei der Arrow PC zu kommen. Sprißlers Gegner war nicht sein Konkurrent Meyerhill, sondern die Kräfte der Beharrung von ganz Assperg, die in Blaschke ihre aggressiv defensive Vertretung hatten. »Gehen wir zusammen hinüber?« fragte Sprißler höflicherweise, aber Blaschke verneinte ohne Erklärung und sagte einfach: »Nein.« »Dieser Mensch ist so kaputt«, dachte Sprißler, während er sich bei Blaschke dafür bedankte, dass der sich für ihn Zeit genommen habe, »wie dieses Haus, in dem er sein Büro hat.« Dann ging er hinaus, am Aufzug vorbei, die Treppen hinunter. Beim Aufdrücken der Türe bemerkte Sprißler den stürmischen Wind, der eisig dahergeblasen kam und die Wolken und den Regen fortgeweht hatte. Der Himmel über den Wäldern hinter dem Arrowhochhaus, auf das Sprißler zulief, glänzte kalt, man konnte den Schnee in der Luft fast schon riechen. Es war Ende November, der Winter war nicht mehr weit weg.
    »Ein herrlicher Abend«, sagte Holtrop zu der neben ihm im Wagen sitzenden Journalistin und machte eine Geste nach links, wo über der weiten Fläche der Leipziger Tiefebene das letzte Licht des Tages in einem hell leuchtenden Horizontstreifen zusammengedrängt war, weiter oben am Himmel war es schon tiefschwarze Nacht. Holtrop ließ sich gerne von anderen, speziell jüngeren Menschen dabei beobachten, wie er war und was er machte, denn er fand sich selbst, auch wenn er vor langer Zeit einmal gespürt hatte, dass das eine fundamental unzulässige Empfindung war, zuletzt unweigerlich doch: erstaunlich gut gelungen, ein besonders geglücktes Exemplar Mensch. Da seien natürlich viele glückliche Zufälle zusammengekommen, erklärte er der Journalistin auf die Fragen nach seinem Werdegang, pries die Eltern und die jüngeren Schwestern, die Großeltern und Onkel, die Lehrer, die Uni, das Leben, sich selbst. Er gestikulierte und strahlte und freute sich dabei sichtlich sehr.
    Die junge Frau kam von der linksliberalen Woche und sollte für eine dort laufende Serie über Wirtschaftsführer ein Porträt des Asspergchefs Holtrop schreiben. Sie war eine wache, gut vorbereitete Anfängerin, den Dingen der Wirtschaft gegenüber skeptisch eingestellt. Kritisch armiert, aber offen, interessiert und freundlich kam sie auf Holtrop zu, Constanze Zegna. »Sind Sie etwa Italienerin?« fragte Holtrop, »nein, nein«, sagte sie und schüttelte lachend den Kopf. Sie standen vor Holtrops dunkelblauem Mercedes. »Steigen Sie ein!« rief Holtrop, zeigte dabei auf Terek und sagte: »Herr Terek fährt uns nach Berlin.« Terek nickte in ihre Richtung, ließ sie einsteigen und drückte hinter ihr die Türe zu. Es war der Sound des Reichtums, wie die schwere Autotüre zufiel, wie still es danach augenblicklich im Inneren des Wagens wurde, da fuhren sie schon dahin, schwerelos. Von der Außenwelt war nichts mehr zu merken, diese Unbemerkbarkeit der äußeren Welt war der Luxus im Inneren einer solchen Highendlimousine, sie erlaubte den Reisenden geistige Freiheit. Mitten in Holtrops Ausführungen über die genialen Maßnahmen der Assperg AG gegen die aktuelle Wirtschaftskrise kam der von Holtrop schon angekündigte Telefonanruf aus Krölpa, das Vorzimmer Meyerhill meldete sich, es sei so weit, fünf Uhr.
    Dann war Holtrops Stimme in Meyerhills Zimmer zu hören: »Guten Abend, meine Herren!« Die Herren grüßten zurück. Meyerhill, Diemers, Sprißler, Blaschke und diverse Assistenten in Krölpa, aus der

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