John Grisham
Frauen mit lockerem Lebenswandel, und Bobby Carl war diesen Damen sehr zugetan. Einige von ihnen heiratete er sogar, was er hinterher immer bereute. Auch dem Alkohol war er gewogen, doch er trank nie im Übermaß. Trotz seiner wilden Freundinnen und ebenso wilden Partys war Bobby Carl Leach noch nie wegen eines Katers zu spät zur Arbeit gekommen. Dazu war ihm Geld viel zu wichtig.
Jeden Morgen um fünf Uhr - auch an Sonntagen - fuhr Bobby Carl mit seinem kastanienbraunen DeVille einmal um das Gericht von Ford County herum, das mitten in Clanton lag. Um diese Zeit waren die Geschäfte und Büros noch dunkel und leer, was ihm sehr behagte. Sollten sie ruhig schlafen. Die Banker, Anwälte, Immobilienmakler und Geschäftsleute, die sich die Mä uler über ihn zerrissen und ihn um sein Geld beneideten, waren um fünf Uhr morgens noch nicht bei der Arbeit.
Bobby Carl genoss die Dunkelheit und die Stille. Der Wettbewerb ruhte zu dieser frühen Stunde. Nach seiner täglichen Siegesrunde um das Gerichtsgebäude fuhr er schnurstracks in sein Büro, das auf dem Verkaufsgelände seiner Landmaschinenfirma lag und zweifelsohne das größte in ganz Ford County war. Es nahm den gesamten ersten Stock eines alten Backsteingebäudes ein, das noch aus der Zeit vor Pearl Harbor stammte. Hinter den dunkel getönten Fenstern sitzend, konnte Bobby Carl seine Traktoren im Auge behalten und gleichzeitig den Verkehr auf dem Highway beobachten.
Bobby Carl, der zu dieser frühen Stunde noch allein und daher zufrieden war, begann jeden Tag mit einer Kanne starken Kaffees und der Zeitungslektüre. Er abonnierte jede Tageszeitung, die er bekommen konnte - Memphis, Jackson, Tupelo -, sowie die Wochenzeitungen aus den umliegenden Countys. Während er las und pausenlos Kaffee in sich hineinschüttete, suchte er in den Zeitungen nicht nach Neuigkeiten, sondern nach Geschäftsideen. Immobilien, die zum Verkauf standen, landwirtschaftlich genutzten Flächen, Zwangsversteigerungen, Fabriken, die in Betrieb genommen oder stillgelegt wurden, Auktionen, Insolvenzen, Geschäftsauflösungen, Ausschreibungen, Bankenfusionen, öffentlichen Bauvorhaben. Die Wände seines Büros waren übersät mit Plänen von Baugrundstücken und Luftaufnahmen von Städten und Countys. Auf seinem Computer waren die Kataster der näheren Umgebung gespeichert. Er wusste, wer mit seiner Grundsteuer im Verzug war, seit wann und mit welcher Summe. Diese Informationen sammelte und archivierte er in den Stunden vor der Morgendämmerung, während alle anderen noch schliefen.
Seine größte Schwäche - noch vor Frauen und Whiskey - war das Glücksspiel. Er hatte viele hässliche Erfahrungen mit Casinos in Las Vegas, Pokerclubs und Buchmachern für Sportwetten gemacht. Regelmäßig ließ er große Summen auf der Hunderennbahn in West Memphis, und einmal hätte er sich auf einer Kreuzfahrt zu den Bermudas beinahe in den Bankrott gespielt. Als in Mississippi völlig unerwartet die ersten Casinos eröffnet wurden, nahmen die Schulden, mit denen er sein Geschäftsimperium belastete, bedenkliche Ausmaße an. Da er bei der einzigen Bank in der Stadt, die ihn als Kunden haben wollte, keinen Kredit zur Deckung seiner Verluste am Würfeltisch mehr bekam, musste er Teile seines Goldes nach Memphis ins Pfandhaus bringen, damit er seine Angestellten bezahlen konnte. Dann brannte eine seiner Immobilien aus. Er drängte die Versicherungsgesellschaft zu einer schnellen Schadensregulierung, und damit hatten seine Geldnöte fürs Erste ein Ende.
Das einzige Casino in Mississippi, das nicht auf Wasser schwamm, war von den Choctaw-Indianern gebaut worden. Es lag in Neshoba County, zwei Stunden südlich von Clanton, und eines Abends ließ Bobby Carl dort zum letzten Mal in seinem Leben die Würfel rollen. Er hatte ein kleines Vermögen verloren, und als er nicht mehr ganz nüchtern nach Hause fuhr , schwor er sich, nie wieder zu spielen. Jetzt war Schluss. Er verlor sowieso immer. Offenbar gab es einen guten Grund dafür, dass diese smarten Jungs immer mehr Casinos bauten.
Bobby Carl Leach hielt sich ebenfalls für einen smarten Jungen.
Er begann, Nachforschungen anzustellen. Nach kurzer Zeit fand er heraus, dass das Innenministerium 562 Indianerstämme im ganzen Land anerkannt hatte, in Mississippi jedoch nur die Choctaw. Früher hatten in Mississippi zahllose Indianer gelebt - mindestens neunzehn große Stämme -, doch die meisten waren in den 1830ern zwangsumgesiedelt und nach Oklahoma geschickt
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