Jonathan Strange & Mr. Norrell
Fähigkeiten besitzen? Oder vielleicht hat er Freunde, die mir meinen Erfolg neiden. Mit wem verkehrt er? Was hat er gelernt?«
Childermass lächelte ein langes Lächeln, das sich die eine Hälfte seines Gesichts hinaufzog. »Ah, Sie haben sich eingeredet, dass er der Agent eines anderen Zauberers ist. Nun, Sir, das ist er nicht. Das versichere ich Ihnen. Nicht in Vernachlässigung, sondern in Erfüllung meiner Pflichten habe ich Erkundigungen über den Herrn eingezogen, nachdem wir Mrs. Godesdones Einladung erhalten haben – ebenso gründliche Erkundigungen, wie er über Sie eingezogen hat. Das wäre schon ein seltsamer Zauberer, der jemanden wie ihn für sich arbeiten ließe. Und wenn es so einen Zauberer gäbe, hätten Sie ihn doch längst aufgespürt, oder etwa nicht? Und Mittel und Wege gefunden, ihm seine Bücher zu nehmen und seiner Gelehrtheit ein Ende zu setzen. Wie Sie es auch früher schon getan haben.«
»Von diesem Drawlight ist also nichts zu befürchten?«
Childermass zog eine Augenbraue in die Höhe und lächelte sein einseitiges Lächeln. »Im Gegenteil.«
»Aha!«, rief Mr. Norrell. »Ich wusste es. In diesem Fall werde ich größten Wert darauf legen, seine Gesellschaft zu meiden.«
»Warum?«, fragte Childermass. »Das habe ich nicht gemeint. Habe ich Ihnen nicht gerade erklärt, dass er keine Bedrohung für Sie darstellt? Was bedeutet es Ihnen, dass er ein schrecklicher Kerl ist? Befolgen Sie meinen Rat, Sir, und benutzen Sie das Werkzeug, das zur Hand ist.«
Dann erzählte Childermass, was er über Drawlight herausgefunden hatte: Er gehörte zu einem Schlag Männer, die es nur in London gab und deren Hauptbeschäftigung darin bestand, teure, elegante Kleidung zu tragen; sie verbrachten ihr Leben in demonstrativer Muße, spielten und tranken exzessiv und hielten sich monatelang in Brighton oder anderen mondänen Badeorten auf; in den letzten Jahren schien Christopher Drawlight diesen Lebenswandel perfektioniert zu haben. Auch seine engsten Freunde gaben zu, dass er nicht eine einzige gute Eigenschaft besaß. 12
Obwohl Mr. Norrell bei jeder neuen Enthüllung Unmutsäußerungen von sich gab oder hörbar nach Luft schnappte, tat ihm dieses Gespräch gut. Als Lucas zehn Minuten später eine Kanne mit heißem Kakao brachte, aß er gefasst Toast mit Marmelade und war nicht mehr das ängstliche, nervöse Wesen, das er früher am Morgen gewesen war.
Als laut an die Haustür geklopft wurde, ging Lucas, um zu öffnen. Auf der Treppe waren leise Schritte zu vernehmen, und Lucas kehrte zurück, um »Mr. Drawlight« anzukündigen.
»Ah, Mr. Norrell. Guten Tag, Sir.« Mr. Drawlight betrat den Raum. Er trug einen dunkelblauen Rock und einen Ebenholzstock mit silbernem Knauf. Er schien exzellenter Laune zu sein, verneigte sich, lächelte und ging hin und her, so dass es nach knapp fünf Minuten kaum einen Zentimeter Teppich gab, auf dem er nicht gestanden hätte, keinen Tisch oder Stuhl, den er nicht leicht und liebevoll berührt hätte, keinen Spiegel, vor dem er nicht getänzelt hätte, kein Gemälde, das er nicht kurz angelächelt hätte.
Mr. Norrell war mittlerweile zwar überzeugt, dass sein Gast selbst kein großer Zauberer war oder im Dienst eines großen Zauberers stand, aber andererseits war er nach wie vor wenig geneigt, Childermass' Rat zu beherzigen. Seine Einladung, Drawlight möge sich an den Frühstückstisch setzen und eine Tasse Kaffee trinken, war von der kältesten Art. Aber schmollendes Schweigen und finstere Blicke hatten keinerlei Wirkung auf Mr. Drawlight, da er das Schweigen mit seinem eigenen Geplapper füllte und zu sehr an finstere Blicke gewöhnt war, um sich etwas daraus zu machen.
»Finden Sie nicht auch, Sir, dass die Party gestern Abend höchst bezaubernd war? Obwohl ich zugeben muss, dass Sie gut daran taten zu gehen, als Sie gingen. Anschließend schlenderte ich umher und erklärte jedem, dass der Herr, der gerade den Raum verlassen hatte, tatsächlich Mr. Norrell gewesen war. Glauben Sie mir, Sir, Ihr Aufbruch blieb nicht unbemerkt. Der ehrenwerte Mr. Masham war sich ganz sicher, dass er Ihre hoch geschätzte Schulter gesehen hat, Lady Barclay meinte, sie hätte einen Blick auf eine ordentliche graue Locke Ihrer ehrenwerten Perücke erhascht, und Miss Fiskerton war ganz ekstatisch, weil sie für einen Augenblick die Spitze Ihrer Gelehrtennase erspäht hatte. Das Wenige, das sie gesehen haben, Sir, lässt sie nach mehr verlangen. Sie verzehren sich, den ganzen
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