Judith
»hast du denn keinen Blick für mich? «
Judith lächelte ihn an. Im nächsten Moment wurde sie von starken Armen hochgehoben und herumgewirbelt. »Wie kannst du glauben, daß ich einen so schönen Mann wie dich übersehe? « fragte sie kokett, als sie wieder neben Raine stand.
»Eine schlagfertige Antwort. Aber mein Bruder scheint doch der einzige zu sein, der diesen Glanz in deine Augen zaubern kann. Sie sehen dann aus wie Gold. «
Judith entdeckte Gavin, der mit einer hübschen, ganz in grünen und purpurfarbenen Samt gekleideten Frau tanzte. In vertraulicher Geste hatte sie ihre Hände auf Gavins Brust gelegt.
»Wo ist dein Lächeln? « Raine folgte ihrem Blick.
»Findest du sie schön? « fragte Judith statt einer Antwort.
Raine verbiß sich mit Mühe ein Lachen. »Schön? Sie ist wie eine kleine braune Maus, und Gavin interessiert sich bestimmt nicht für sie. Komm, hören wir auf zu tanzen und holen wir uns etwas Apfelwein. « Er bot ihr den Arm und führte sie in die entgegengesetzte Ecke des Saales — fort von Gavin.
Judith stand stumm neben Raine und beobachtete Gavin und die Frau. Jedesmal wenn die Tanzenden sich berührten, ging es wie ein Stich durch ihre Brust. Raine, der in ein Gespräch mit einem anderen Mann vertieft war, merkte nicht, wie sie ihren Trinkbecher abstellte und den Saal verließ.
Hinter dem großen Haupthaus lag ein kleiner, von einer Mauer eingeschlossener Garten. Immer wenn Judith allein sein wollte, ging sie dorthin.
Der Anblick von Gavin mit der Frau in seinen Armen wollte sich einfach nicht vertreiben lassen. Judith schüttelte hilflos den Kopf.
Warum machte es ihr etwas aus, ihn mit einer anderen zu sehen? Sie kannte ihn kaum einen Tag.
Judith setzte sich auf die Steinbank, die im Schutz einiger Büsche stand. Ist das Eifersucht? fragte sie sich. Solche Gefühle waren ihr bis jetzt fremd gewesen. Aber alles, was sie wußte, war, daß sie nicht wollte, daß ihr Mann eine andere auch nur ansah und schon gar nicht, daß er sie in den Armen hielt.
»Ich dachte mir, daß ich dich hier finden würde. «
Judiths Kopf ruckte hoch. Doch als sie ihre Mutter erkannte entspannte sie sich wieder. Helen setzte sich neben die Tochter.
»Stimmt irgend etwas nicht? War er häßlich zu dir? «
»Gavin? « Judith sprach den Namen geradezu genußvoll aus. »Nein, er ist sogar mehr als freundlich zu mir. «
Der Ausdruck in den Augen der Tochter gefiel Helen nicht, Bei ihr war es auch einmal so gewesen. Doch das glückliche Leuchten war schnell verschwunden.
Sie umfaßte die Schultern des Mädchens, obwohl diese Bewegung ihrem noch nicht geheilten Arm sehr weh tat. »Hör mir zu, mein Kind. Seit langem schon will ich mit dir sprechen, aber ich habe es immer aufgeschoben, weil ich hoffte, diese Heirat noch verhindern zu können. Ich hoffte vergeblich. Ich muß dir einen Rat geben, den du beherzigen solltest. Traue nie einem Mann. «
Judith wollte ihren Gemahl verteidigen. »Gavin ist ehrenwert und freundlich! « erklärte sie trotzig.
Helen nickte düster und ließ die Hände in den Schoß sinken. »O ja, das sind sie untereinander. Das sind sie zu den anderen Männern, zu ihren Pferden sogar. Aber für einen Mann bedeutet die eigene Frau nicht mehr als ein Pferd. Sie kann leicht ersetzt werden und hat keinen Wert. Was kann er auch verlieren? Was ist schon eine Frau? «
»Nein! « Judith schüttelte wild den Kopf. »Ich glaube nicht, daß alle Männer so sind. «
»Dann steht dir auch ein unglückliches Leben bevor, so wie ich es hinter mir habe. Wenn ich in jungen Jahren nicht so vertrauenswürdig gewesen wäre, würde mein Leben jetzt wohl anders sein. Ich habe mir eingebildet, deinen Vater zu lieben. Ich habe ihm das sogar gestanden. Was hat er getan? Mich ausgelacht. Weißt du, was es für eine Frau bedeutet, einen Mann zu lieben und dafür ausgelacht zu werden? «
»Viele Männer lieben ihre Frauen«, murmelte Judith. Sie wollte nicht glauben, daß ihre Mutter die Wahrheit sagte.
»Liebe? Sie wollen sie nur fürs Bett haben. Und wenn sie ihrer dann überdrüssig sind, lieben sie eine andere. Ein Frau hat nur Gewalt über den Mann, wenn sie etwas Neues für ihn ist, oder wenn ihn ihr Körper besonders reizt. Ob man das Liebe nennen kann — ich glaube es nicht. «
Judith erhob sich und kehrte der Mutter den Rücken zu. »Nicht alle Männer sind so, wie du sagst. Gavin ist… « Sie brach ab.
Helen war besorgt um ihr Kind. Sie drehte Judith zu sich herum. »Erzähl mir
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