JULIA COLLECTION Band 20
Goldkettchen an ihrem Knöchel zu lösen, bevor es ihr das Blut abschnitt.
Ich werde hier sterben!, dachte sie. Ich werde hier auf der Veranda des unbewohnten Hauses in der Sonne verdorren wie ein Fisch auf dem Trockenen. Meine Haut wird sich schälen, und die Möwen werden mich von oben bis unten bekleckern.
In dem Moment fiel ihr das Handy ein. Nein, das lag in der Handtasche im Haus. Wenn sie es schaffte, irgendwie hochzukommen, könnte sie vielleicht mit einem Plastikstuhl als Gehhilfe ins Innere gelangen und den Notruf wählen. Hoffentlich hatte heute nicht derselbe Beamte Dienst wie gestern.
Tränen liefen ihr über das Gesicht, hinterließen dunkle Mascara-Spuren auf den Wangen und tropften auf das teure Oberteil. Sasha zog sich den zweiten Schuh aus und warf ihn beiseite. Was nützte ihr der eine Schuh, wenn der andere ruiniert war? Sobald ich zu Hause bin, dachte sie, werde ich diese Dinger verbrennen, auch wenn sie meinen Beinen noch so sehr geschmeichelt haben.
Aber erst einmal musste sie von hier weg. Sasha kniete sich hin und versuchte, einen der Stühle zu sich heranzuziehen.
In dem Moment hörte sie hinter sich Schritte auf der Veranda.
„Was in aller Welt haben Sie denn da angestellt?“, ertönte eine tiefe, vertraute Stimme.
Erschrocken fuhr Sasha herum und sah den Mann vor sich, der sie erst am Tag zuvor so in Panik versetzt hatte.
Nein, bitte nicht!, flehte sie. Wieso muss er mich in diesem Zustand sehen? „Hilfe?“, fragte sie kläglich.
Als sie in Jakes Jeep zum Krankenhaus in Nags Head fuhren, hatte Sasha ihr Unglück verdrängt und sich drei Dinge geschworen: Erstens würde sie nie wieder Schuhe mit zehn Zentimeter hohen Absätzen tragen, jedenfalls nicht bei der Arbeit. Zweitens würde sie ab sofort nur noch die Hälfte essen. Törtchen und gesüßter Milchkaffee gehörten von nun an der Vergangenheit an.
Also darf ich nichts mehr essen, was mir schmeckt, dachte sie bedrückt.
Jake hatte darauf bestanden, sie die Treppe hinunterzutragen. Als Alternative hätte Sasha auf dem Po Stufe für Stufe herunterrutschen müssen und sich damit womöglich noch mehr Splitter in empfindliche Körperteile eingezogen. Deshalb hatte sie sich von ihm auf die Arme heben lassen. Als wäre der Schmerz noch nicht schlimm genug, hatte das Gefühl, sich an einen starken, festen Körper zu schmiegen, sie so durcheinandergebracht, dass sie nicht einmal mehr herumgestritten hatte.
Den dritten Schwur hatte Sasha schon wieder vergessen, doch dabei ging es sicher darum, sich von Männern fernzuhalten, die Sashas Widerstand allein mit dem Klang der Stimme, einem Blick und ihrem Geruch ins Wanken brachten. Dieser Mann duftete nach Seife, Zahnpasta und Kaffee. Irgendwie sehr männlich.
Seine Berührung ließ Sasha erzittern, als hätte sie einen elektrischen Schlag erlitten.
Sie hatte immer noch gezittert, als Jake sie auf den Beifahrersitz seines Wagens gesetzt und ihr fürsorglich etwas als Stütze für den Fuß auf den Boden zurechtgelegt hatte. Als er jedoch nach dem Gurt gegriffen hatte, hatte Sasha seine Hand beiseitegeschoben. „Das schaffe ich schon noch allein.“
„Dann tun Sie’s doch!“, hatte er ärgerlich erwidert.
Weswegen ist er denn so verärgert?, fragte sie sich und tat sich einerseits leid und verspürte gleichzeitig auch ein erregendes Kribbeln. Schließlich war es ihr Knöchel, der gebrochen war. Und es war ihre Hand, die sich wahrscheinlich entzünden und dann so anschwellen würde, dass sie amputiert werden musste. Obendrein vielleicht dann noch eine Blutvergiftung. Und sicher bin ich gegen Antibiotika allergisch, dachte sie. Ich werde also bei der Behandlung an irgendeiner schockartigen allergischen Reaktion sterben.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, erkundigte sich Jake.
Wenigstens klang er jetzt besorgt und nicht mehr so verärgert. „Nein, mit mir ist nicht alles in Ordnung, ich habe Schmerzen“, fuhr sie ihn an. Das war kindisch, aber da sie ihre Würde ihm gegenüber ohnehin längst verloren hatte, brauchte sie sich deswegen keine Gedanken mehr zu machen.
„Nur noch ein paar Minuten, dann sind wir da.“
Das klang ja beinahe schon mitfühlend. Mitgefühl konnte Sasha nicht ausstehen. Als sie welches gebraucht hätte, hatte sie es nicht bekommen. Damals, als sie das Geld für das Schulessen für billiges Make-up ausgegeben hatte, damit sie die Prellungen überschminken konnte, die ihr Vater ihr mit seinen Fäusten zugefügt hatte. Seine Reaktion darauf waren
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