Julia Collection Band 26
hatte. Jetzt zuckte er jedoch bloß die Schultern und sah ratlos drein.
Charity gab der Organistin ein Zeichen, mit dem Vorspiel zum nächsten Weihnachtslied noch zu warten, und winkte einen der Hirten zu sich, die sich mit einer Herde künstlicher Schafe um die Stufen der Kanzel scharten.
„Simon, geh bitte und sag den Engeln, dass sie ihren Einsatz verpasst haben.“
Während der Achtjährige loslief, fuhr sie sich nervös durchs Haar. Warum hatte sie sich bloß wieder darauf eingelassen? Im letzten Jahr hatte sie sich geschworen, nie wieder ein Krippenspiel zu leiten. Trotzdem unterwarf sie sich auch diesmal wieder dieser Tortur.
Wenn es letztlich so weit war, lief die Aufführung gut, und Eltern sowie alle Pfarreimitglieder schwärmten von den reizenden Kindern. Die Proben waren jedoch fürchterlich anstrengend.
In diesem Jahr stellte nicht nur das Krippenspiel ihre Geduld auf eine harte Probe. Schlaflose Nächte waren ebenfalls ein Problem. Dazu kam, dass ihr Vater ständig behutsam drängte, sie solle doch ausgehen und Spaß haben, wie er sich ausdrückte. Da er nun mit Alice glücklich war, sollten auch alle Menschen in seiner Umgebung in Glück schwelgen. Charity hatte jedoch an nichts mehr Spaß.
Sie hätte sich niemals vorgestellt, dass Heimkommen so schwer sein könnte. Hollydean war doch der Mittelpunkt ihres Lebens. Sie war überzeugt gewesen, in einen geliebten, sicheren Hafen zurückzukommen. Seit sie jedoch die Southern Cross verlassen hatte, erschien ihr diese früher so bezaubernde und heitere Welt zu Hause eher eng und übertrieben ordentlich. Es gefiel ihr nicht mehr, dass sie jedes Dorf, jedes Schaufenster, jede Wiese und jede Straße kannte.
„Die Engel streiten“, berichtete Simon, der Hirte, sobald er zurückgekehrt war.
„Ist denn Mrs. Waterford nicht da?“
„Nein, sie ist draußen und redet da mit einem Mann.“
„Ach, du lieber Himmel.“ Charity warf einen verzweifelten Blick auf die Mitwirkenden. „Niemand rührt sich von der Stelle, bis ich das mit den Engeln geregelt habe“, befahl sie. „Die Weisen aus dem Morgenland halten sich im Hintergrund des Saals bereit. Ihr tretet auf, sobald die Engel mit ihrem Lied fertig sind. Mary, zieh jetzt bitte nicht das Kind in der Krippe aus!“
Während sie zur Sakristei eilte, hörte sie bereits gereizte Stimmen und lautes Weinen.
„Billy hat Dinahs Flügel gebrochen!“, rief ein dünnes Stimmchen.
„Weil Dinah eklig zu ihm war und gesagt hat, dass er nicht in der Nase bohren soll.“
„Und jetzt hat er Nasenbluten.“
„Ach, Billy!“, rief Charity. Blut tropfte aus der sommersprossigen Nase des kleinen Jungen auf das Engelskostüm. Der Anblick des Blutes jagte ihm Angst ein, und sobald er Charity sah, heulte er laut los.
„Aber, aber, das kommt schon in Ordnung“, beruhigte sie ihn und griff nach einem Taschentuch. „Leg den Kopf ein wenig nach hinten. So ist es gut. Braver Junge.“ Über Billys Kopf hinweg wandte sie sich an einen anderen Engel. „Lauf nach draußen und sag Mrs. Waterford, was passiert ist. Ich brauche sie sofort hier drinnen. Maisie, bring mir bitte vom Tisch die Schachtel mit den Papiertaschentüchern.“
Erst mithilfe einiger Taschentücher konnte sie die Blutung stillen. Dann drückte sie behutsam Billys Nase zu.
„Atme nur durch den Mund“, wies sie ihn an.
Die Kinder waren endlich still geworden und umringten sie. In den weißen Kleidchen und mit den Schwingen aus Pappe, Watte und goldenen Sternen sahen sie entzückend aus. Und mitten unter ihnen kniete Charity in ihrem grünen Winterkleid, das rote Haar am Hinterkopf zusammengebunden, neben Billy.
Die Tür der Sakristei öffnete sich. Eisiger Wind blies herein, als Eileen Waterford in den Raum eilte.
„Es tut mir schrecklich leid, Charity!“, rief sie, als sie Billy sah. „Ich war nur für einen Moment draußen, weil ich diesem Herrn sagen wollte, wann du frei …“ Sie verstummte bei Charitys Anblick. „Was ist denn, meine Liebe?“
Der Schock traf Charity völlig unerwartet. Sie spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich, als hinter Eileen ein Mann eintrat.
Kane!
Was machte er hier?
Schneeflocken hingen in seinem Haar und auf den breiten Schultern des Reitermantels. Die Hände hatte er tief in die Taschen geschoben, und er betrachtete sie mit einer Miene, die sie nicht deuten konnte. War er besorgt? Oder amüsierte er sich?
Eileen blickte beunruhigt von einem zum anderen. „Du kennst doch Mr. McKinnon,
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