Julia Collection Band 28
sondern nur Interesse. „Es war hart. Also, nicht nur hart, aber meistens“, verbesserte er sich. „Einige Familien waren ganz passabel, andere waren schrecklich. Jedenfalls habe ich mich als Kind stets wie ein Gast gefühlt, der eigentlich schon viel zu lange geblieben ist.“
„Das ist tatsächlich hart“, bestätigte sie.
„Mit sechzehn bin ich aus meiner letzten Pflegefamilie ausgezogen. Und seitdem lebe ich für mich“, fuhr er fort.
„Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Pflegeeltern?“
„Nein. Die Lowerys waren die Einzigen, zu denen ich je eine engere Beziehung hatte. Sie waren schon älter. Dad Lowery starb wenige Monate nach Mom Lowerys völlig überraschendem Herzinfarkt. Die beiden haben einander geliebt, und ich habe sehr an ihnen gehangen. Ich hätte gern meine ganze Kindheit bei den zwei verbracht. Na ja, sollte eben nicht sein.“
„Tut mir leid, dass Sie die zwei verloren haben. Sam, ich kann nur sagen, dass ich Sie immer bewundernswerter finde.“
„Ich bitte Sie“, wehrte er ab.
„Nein, ich meine das ernst. Sehen Sie doch nur, was Sie aus Ihrem Leben gemacht haben! Was für ein guter Vater Sie sind, obwohl Sie eine schwierige Kindheit hatten. Sie gehören zu diesen zähen Typen, die alle Schwierigkeiten überwinden. Darum beneide ich Sie.“
„Erin“, meinte er ungläubig, „Sie haben eine großartige Familie. Wieso beneiden Sie da ausgerechnet mich?“
„Das will ich Ihnen erklären. Auch wenn ich mich ständig über meine Brüder beklage, habe ich eine großartige Familie, wie Sie soeben gesagt haben. Darum bin ich noch nie ernsthaft auf die Probe gestellt worden. Ich weiß nicht, wie ich mich halten würde.“
„Der Tod Ihres Neffen war doch eine solche Probe“, gab er zu bedenken.
„Stimmt, aber das war etwas anderes, weil die ganze Familie zusammengehalten hat“, erwiderte Erin. „Dieser Zusammenhalt hat Ihnen gefehlt, und darum bewundere ich Sie.“
„Wenn Sie meinen“, sagte er kopfschüttelnd.
„Es stimmt“, betonte Erin eifrig, „und darum können Sie das Kompliment ruhig annehmen.“
„Auch wenn ich es nicht verdiene. Trotzdem vielen Dank.“
Sie nahm einen Schluck Tee. „Und was wissen Sie über Ihre leiblichen Eltern?“
Oje, genau dieses Thema wollte er nicht anschneiden. Wie weit sah Erin die Nachrichten im Fernsehen? Überall hörte und sah man Berichte über Lissa und Adam, und wenn jemand Augen im Kopf hatte, erkannte er sofort, dass diese unglaubliche Ähnlichkeit zwischen Sam und Adam keine Laune der Natur sein konnte. „Nicht viel“, schwindelte er möglichst lässig, obwohl er verkrampft war. „Meine Mutter war noch sehr jung und starb bei einem Autounfall. Ich kenne nicht einmal ihren Namen. Über meinen Vater weiß ich gar nichts. So ist das eben. Was soll man machen?“
Erin nickte nachdenklich. „Man kann sich aufraffen, die Vergangenheit hinter sich lassen und erfolgreich werden. Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, weil Sie all das geschafft haben.“
Das fand er so schön, dass er nach ihrer Hand griff. „Sie sind unbeschreiblich, Erin, und Sie haben Jessica und mir schon mehr geholfen, als ich sagen kann. Außerdem finden Sie immer die richtigen Worte. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken.“
Unwillkürlich richtete er den Blick auf ihre vollen Lippen. Wäre das schön gewesen, sie zu küssen, bis ihnen beiden der Atem ausging! Wie sehr sehnte er sich danach! Erins Hand fühlte sich so weich an. Vielleicht sollte er es einfach wagen und Erin küssen? Himmel ja, er wollte sie küssen!
Langsam beugte er sich zu ihr, und das Verlangen überwältige ihn fast, doch dann wich Erin ein Stück zurück. Er sah ihr in die Augen. Sie betrachtete ihn ernst und nervös und … sogar ein wenig ängstlich.
Schuldbewusst ließ er ihre Hand los, als hätte er sich verbrannt. „Es tut mir leid, Erin“, versicherte er hastig.
„Nein, nein, schon gut“, entgegnete sie, strich sich verlegen durchs Haar und stand auf. „Es ist nur … ich …“
„Hören Sie, es wird nicht mehr vorkommen“, beteuerte er. „Ich bin nicht der Typ, vor dem Ihre Brüder Sie gewarnt haben.“
Sie seufzte. „Ich sollte schlafen gehen. Morgen früh müssen wir beide zeitig aufstehen.“
Sam kam sich unmöglich vor. Er hatte für einen Moment doch tatsächlich vergessen, dass er Erins Arbeitgeber war. Wie konnte er sie da bedrängen? „Ja, in Ordnung, gehen Sie nur.“
Sie nickte, drehte sich aber an der Tür noch einmal um. „Sam, es tut mir leid,
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