JULIA EXTRA BAND 0263
oder ob es nur in ihrer Einbildung passiert war. War er ebenso von Leidenschaft erfasst gewesen wie sie selbst, oder hatte er nur versucht, sie von ihrer Angst abzulenken? Sein Lächeln war unergründlich, doch sie spürte eine gewisse Anspannung dahinter, so als ob auch er sehr erschüttert wäre.
Gil half ihr aus der Gondel. Ihre Beine zitterten, aber sie wusste nicht, ob es an ihrer Nervosität oder an den Auswirkungen von Gils Kuss lag. Plötzlich erschreckte Jane die Intensität der Gefühle, die sie wie eine Welle erfasst hatten.
„Ich danke dir für die Jacke“, sagte sie und reichte sie ihm.
„Du kannst sie mir später …“, setzte er an.
„Nein, wirklich … ich muss jetzt gehen. Ich hatte nicht vor, so lange zu bleiben. Auf Wiedersehen.“
„Jane, bitte warte.“
„Ich muss gehen, wirklich“, sagte sie hastig.
Jane drehte sich um und flüchtete. Sie musste sich eingestehen, dass sie wegrannte, dass sie vor dem Unbekannten, der Magie floh, zurück in ihr sicheres, geordnetes Leben.
Sie fand Kenneth’ Stand, aber er war verlassen. Offensichtlich hatte er keine Lust gehabt, noch länger auf sie zu warten, und war heimgegangen. Jane konnte ihm kaum einen Vorwurf daraus machen. Sie machte sich auf die Suche nach einem Taxi. Um sie herum begann man, die Stände zu schließen, und die Lichter gingen allmählich aus.
3. KAPITEL
Jane wachte mit dem bedrückenden Gefühl auf, sich komplett zum Narren gemacht zu haben. Dafür gab es keine Entschuldigung. Sie, die sich so viel auf ihre Besonnenheit einbildete, war dem fadenscheinigen Glanz eines charmanten Schaustellers erlegen.
Sie seufzte bei der Erinnerung daran, wie sie ihm ohne Widerstand auf dem Riesenrad in die Arme gefallen war. Zu ihrer Bestürzung erweckte dieser Gedanke die Erinnerung an seinen Kuss zu neuem Leben – seine festen Lippen auf den ihren, der Eindruck männlicher Entschlossenheit, der so gar nicht zu dem lässigen Bild passte, das er der Welt von sich präsentierte. Einen erschütternden Moment lang hatte sie ihm gehört, so unbedingt wie ein junges Mädchen, das seinen ersten Kuss erlebt, und im kalten Morgenlicht beschämte diese Erinnerung sie. Er verkörperte all das, was sie ablehnte und dem sie misstraute. Und doch hatte seine Umarmung die Welt um sie herum derart ausgelöscht, wie das vorher noch keine Umarmung eines anderen Mannes getan hatte.
Jetzt war ihr seine Strategie klar. Heute Morgen würde er in die Bank marschiert kommen, um seinen Scheck einzulösen, zuversichtlich, sie mit seinem Charme so eingewickelt zu haben, dass er ihr ein Darlehen abschwatzen konnte. Und sie wäre beinahe darauf hereingefallen.
Nach einem leichten Frühstück rief sie Kenneth an und entschuldigte sich für ihr Verschwinden am gestrigen Abend. „Ichhabe einen Bekannten getroffen, der einen Kredit wollte. Es tut mir leid, dass ich nicht zurückgekommen bin. Ich hoffe, du hast dir nicht allzu viele Sorgen gemacht.“
„Ich muss zugeben, dass es etwas ungünstig war. Wir haben jede Menge neue Aufträge, und ich werde expandieren müssen. Es wäre geschickt gewesen, sofort eine Antwort wegen der Finanzierung zu bekommen.“
„Deine Bonität ist einwandfrei. Damit dürfte es kein Problem geben.“
„Ich könnte dir kurz die Zahlen durchgeben …“
„Es ist besser, das zu besprechen, wenn ich im Büro bin“, unterbrach sie ihn und hatte das Gefühl, ihm jetzt nicht länger zuhören zu können. „Meine Sekretärin ruft dich an und vereinbart einen Termin mit dir.“
Während sie zur Arbeit fuhr, fasste sie ein paar ernsthafte Vorsätze, um Gils Spiel nicht weiter mitzuspielen. Sie würde ihr Personal anweisen, sie nicht dazuzurufen, wenn Gil in die Bank käme. Sobald sie im Büro war, ließ sie Harry zu sich kommen.
„Ich möchte Sie bitten, sich Folgendes besonders zu merken: Wenn ein Mr. Gilbert Wakeham herkommt, um einen Scheck unseres Stadtrats einzulösen, sorgen Sie bitte dafür, dass …“ Sie unterbrach sich, und es verschlug ihr plötzlich den Atem. In ihrem Bewusstsein schossen leuchtende Farben hin und her. Oben im Himmel lachten die Sterne und tanzten mit ihren farbenfrohen Rivalen.
„Ja?“ Harry starrte sie an.
„Sorgen Sie dafür, dass – dass ich hinzugezogen werde.“
„Handelt es sich um eine große Summe?“, fragte er, während er sich Notizen machte.
„Zweihundertfünfzig Pfund.“
Harry runzelte die Stirn. „Für einen solchen Betrag sind Sie normalerweise …“
„Bitte, tun Sie, was
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