Julia Extra Band 0294
weiß gekalkte Villa in Sicht kam. In den hohen Fenstern spiegelte sich die Nachmittagssonne. Riesige steinerne, mit bunten Blumen bepflanzte Urnen flankierten die flachen Treppenstufen, die zur Eingangstür hinaufführten.
Die Tür wurde geöffnet, und ein mit einer weißen Jacke bekleideter Diener lief auf den Wagen zu. Paolo stieg aus und sagte etwas in seiner eigenen Sprache. Lily verstand nur, dass es um seine Mutter ging, während sie wie ein vergessenes Paket auf dem Beifahrerplatz sitzen blieb.
Die beeindruckende Villa schüchterte sie ein. Wie konnte sie, eine gewöhnliche Mitarbeiterin einer Wohltätigkeitsorganisation, auch nur hoffen vorzutäuschen, in dieses Ambiente zu passen? Zum tausendsten Mal wünschte sie, sie hätte dem Schwindel nie zugestimmt.
Als Paolo um den Wagen herumging, die Tür öffnete und ihr seine Hand reichte, hätte sie sich am liebsten noch tiefer in den Sitz gedrückt und sich geweigert auszusteigen.
Sein Lächeln wurde angespannt. Sie stieß den angehaltenen Atem aus und akzeptierte zögernd seine Hilfe. Schließlich hatte sie mit diesem Teufel in Menschengestalt eine Vereinbarung getroffen. Und sie würde ihr Wort halten.
„Mario bringt dein Gepäck in dein Zimmer.“ Er legte einen Arm um ihre schmale Taille. „Ich schlage vor, du machst dich ein wenig frisch, während ich meine Mutter begrüße. Und versuch daran zu denken, dass wir Hals über Kopf ineinander verliebt sind.“
Der letzte Satz reichte aus, um das flaue Gefühl in ihrem Magen wiederaufleben und ihre Knie weich werden zu lassen.
Allein seinem stützenden Arm verdankte sie es, dass sie auf der Treppe nicht stolperte. Viele tausend Schmetterlinge tummelten sich mittlerweile in ihrem Bauch. Und als er sie einer freundlichen Dame mittleren Alters vorstellte, gelang Lily nur ein flüchtiges Lächeln.
„Agata ist meine Haushälterin. Ihr Englisch ist ausgezeichnet. Wenn du irgendetwas brauchst, wende dich an sie.“
Sein Lächeln wurde breiter. Er zog sie enger an sich, was Lily erschauern ließ. „Sie zeigt dir dein Zimmer, cara . Ich komme bald nach.“
Er geht wirklich in seiner Rolle auf, dachte Lily grummelnd, als sie Agata auf einer weit geschwungenen Treppe in den ersten Stock folgte. Hat sogar ein Kosewort für die Haushälterin hervorgezaubert. Lügen und betrügen scheint ihm leichtzufallen.
Im ersten Stock angelangt, öffnete Agata eine Tür zu ihrer linken. „Ihr Zimmer, signorina . Gefällt es Ihnen?“
Wie hätte sie zugeben können, dass der große, prunkvoll eingerichtete Raum ihr Angst machte, während die Haushälterin sie so freundlich lächelnd anblickte?
„Es ist wunderschön, Agata. Vielen Dank.“
Ihr Gepäck stand bereits vor dem einladenden Himmelbett. Von dem diskreten Diener auf geheimen Wegen an ihnen vorbei hierher gebracht, dachte Lily.
„Der Tee wird gleich serviert. Donatella wird Ihren Koffer für Sie auspacken. Wenn Sie noch etwas benötigen, klingeln Sie bitte.“ Bevor Lily noch protestieren konnte, dass man wegen ihr keinerlei Umstände machen solle, war Agata schon gegangen.
So leben also die reichen Menschen, überlegte sie, als sie vorsichtig über den dicken cremefarbenen Teppich zu den Fenstern schlenderte. Umgeben von Luxus, gutem Geschmack und verschwenderischem Dekor. Mit Dienern, die für jeden Wunsch bereitstanden.
Die Aussicht über den wunderschön gestalteten Garten und auf die dahinter liegenden Hügel der Toskana war beeindruckend. Lily war so in den Anblick versunken, dass sie das leise Klopfen eines hübschen italienischen Mädchens beinahe überhört hätte.
„ Signorina …“ Das Mädchen stellte das Tablett mit dem Tee auf einem niedrigen Tisch neben dem Sessel ab. Neugierig ließ sie ihren Blick über Lilys kleine Gestalt wandern – zweifellos um ihre mögliche zukünftige Herrin zu begutachten, ging es Lily durch den Kopf. Plötzlich fühlte sie sich unbehaglich.
„Danke“, sagte sie, obwohl Tee das Letzte war, was sie in dieser Situation wollte. Sie konnte jetzt nichts zu sich nehmen. Trotzdem setzte sie sich gehorsam in den Sessel und schenkte den Tee ein. Ihre Hände zitterten dabei. Jemand hatte die Mühe auf sich genommen, ihn zuzubereiten, und dieses arme Mädchen hatte ihn die Treppe hinaufgetragen. Also sollte sie ihn zumindest kosten.
Doch beim Anblick der jungen Italienerin, die begann, ihren Koffer auszupacken, sprang Lily auf. „Dazu besteht wirklich kein Grund“, protestierte sie hastig. „Ich kann das durchaus
Weitere Kostenlose Bücher