Julia Extra Band 0295
ging es gut. Warum hätte sie den Wohlstand nicht genießen sollen? Auch als in ihrer Ehe ein paar Monate vor Rowdys Geburt jede Intimität verloren ging, hatte er sich geduldet und auf später vertröstet.
Erst nach Belindas Verschwinden war ihm das Ausmaß ihrer Probleme bewusst geworden. Plötzlich erhielt er Mahnungen für unbezahlte Kleider und Schuhe. Auch Spielschulden hatte sie gemacht.
Jennifers Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. „Und da sind Sie ausgerechnet nach Hinchliff gekommen? Was habe Sie denn vor in dieser Kleinstadt mit zweitausend Einwohnern?“
Er verzog den Mund. „Eine berechtigte Frage. Ich dachte, ich könnte mich hier aufs Renovieren verlegen. Und aufs Umbauen. Stilgerecht natürlich. Bei Bedarf baue ich natürlich auch neu. Nicht weit von hier entstehen Neubaugebiete.“ Er zögerte, es anzusprechen, obwohl er wusste, dass es nötig war. „Aber solange Cilla und Rowdy noch nicht in die Schule gehen, kann ich tagsüber schlecht arbeiten und muss mich nachts an die Entwürfe setzen.“
Jennifer nickte.„Ich …“Auch sie zögerte, als hätte sie Vorbehalte. „Da wäre noch Platz für die beiden. Wenn Sie möchten, könnten Cilla und Rowdy montags, mittwochs und freitags bis sechs Uhr abends bleiben. Und wenn es Sie entlastet, kann Tim an diesen Tagen auch gerne nach der Schule zu mir kommen.“
Damit waren trotz blinkender Warnsignale die Weichen gestellt. Beide wussten, wie gefährlich die Reise war. Und doch fuhren sie mit Volldampf los.
Nach einem Moment des Schweigens zog Jennifer ihre Hand zurück. Sie machte einen nervösen Eindruck. „An diesen Tagen habe ich nämlich nur drei Kinder …“
„Jennifer.“ Zu seinem eigenen Erstaunen war er es diesmal, der die Hand auf ihre legte. „Ich danke Ihnen. Ich hatte gehofft, dass Sie noch Plätze frei haben. Für die Kinder ist es schwer, wenn sie mal hierhin, mal dorthin gebracht werden wie in Sydney. Besonders für Tim …“ Er seufzte. „Ich glaube, er wird gerne kommen. Wenn ich nicht dabei bin.“
„Ich habe die Komplikationen verursacht“, sagte sie leise und senkte den Kopf.
„Wir beide haben sie verursacht“, erwiderte er.
Wieder spürte er das Sehnen und Verlangen, obwohl sie sich kaum berührten.
Schließlich schaute sie wieder auf. „Für Tim ist es das Beste, wenn ich jetzt nach Hause gehe. Wir beide haben genug Sorgen, mit denen wir fertig werden müssen.“
Er nickte. Und war doch ganz verrückt danach, seine Lippen auf ihren Nacken zu drücken, auf ihre halb entblößte Schulter, ihren Mund … Er nickte noch einmal. Ihr Vorschlag war vernünftig, obwohl er ihm nicht gefiel. Er begehrte Jennifer, und sie begehrte ihn. Doch daraus würde etwas entstehen, worauf er verzichten musste.
Gebe ich Tim Sicherheit und Halt, wenn ich allein bleibe? Oder beuge ich mich nur den Forderungen eines verunsicher ten Kindes und mache für die Familie alles nur schlimmer? Cil la und Rowdy brauchen eine Mutter. Und Tim … braucht sie mehr als die beiden zusammen.
Warum war ihm dieser Gedanke bisher noch nie gekommen?
„Ich gehe jetzt besser“, flüsterte Jennifer, rührte sich aber nicht.
„Daddy!“
Noah sprang auf. „Das ist Tim“, sagte er.
„Daddy! Daddy!“
Er rannte zum Haus, durch die Küche hindurch über den Flur zu dem Raum, den Tim mit Rowdy teilte. Obwohl er sein eigenes Zimmer hätte haben können, wollte der Junge lieber bei seinem kleinen Bruder schlafen. „Alles in Ordnung, Tim. Ich bin ja da“, sagte Noah leise und nahm seinen weinenden Sohn in den Arm.
Nur nachts, wenn er aufwachte, ließ Tim diese Nähe zu, erlaubte, dass Noah Trostworte flüsterte und ihm das schweißnasse Haar aus dem Gesicht strich. Der Junge zitterte. Während er ihn in seinen Armen wiegte, wurde Noah wieder klar, warum eine Frau für ihn nicht infrage kam: Die Sorge um seine Kinder würde ihn nie verlassen, und er musste alles daransetzen, um Tims Schmerz zu lindern.
„Daddy“, murmelte der Junge schlaftrunken und voller Angst. Diese Panik verließ ihn weder bei Tag noch bei Nacht. Sie trennte ihn von gleichaltrigen Kindern und machte es ihm unmöglich, Freundschaften zu knüpfen. Wenn Belinda gestorben wäre, hätte Tim es akzeptieren müssen und irgendwann verschmerzt. Aber um eine verschwundene Mutter vermochte er nicht zu trauern. Die Wunde, die sie hinterlassen hatte, heilte nicht. Und immer quälte ihn die Frage, wer an ihrem Weggehen die Schuld trug.
„Ich bin ja da. Ich bleibe immer bei dir“,
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