Julia Extra Band 0295
sich durch den Verkehr. Wenn Kinder ihnen zuwinkten, winkte Jennifer zurück. Und wenn neidvolle weibliche Blicke sie trafen, fühlte sie unbändigen Stolz. Sonst war sie diejenige gewesen, die neidisch Motorradpärchen hinterherschaute. Hatte sie überhaupt richtig gelebt, bevor Noah in ihr Leben getreten war? Jetzt lebte sie. Sie lebte einen Traum aus, mit dem Mann ihrer Träume. Wer durfte sie für ihre Glücksgefühle schelten?
„Frierst du?“, überschrie er den Motorenlärm.
„Nein. Es ist herrlich.“
Sie spürte, wie das Lachen ihn schüttelte, und lächelte still vor sich hin. So fest an ihn geschmiegt, vergaß sie alle guten Gründe, damit aufzuhören.
Sie sausten über den Asphalt, der die Wildnis durchschnitt, bis in der Ferne ein Sandstreifen auftauchte. Doch Noah bog nicht zum Strand ab, sondern nahm den Weg in die Berge. Die ansteigende Straße lag nun im Schatten von Gummibäumen und Dickicht.
Hier war sie noch nie gewesen. „Wohin führt dieser Weg?“, schrie sie gegen den Fahrtwind an.
„Das verrate ich nicht.“ Er schaltete in einen niedrigeren Gang. Die kühle frische Luft, der dunkle, geheimnisvolle Wald, das Abenteuer, die Ungewissheit, wohin die Fahrt ging, Naohs Nähe, das Alleinsein mit ihm, all das gab ihr die Unbeschwertheit zurück.
Auf dem höchsten Gipfel des Bergrückens hielt Noah an. Jennifer nahm den Helm ab, schaute sich um und staunte. „Was ist das für ein Ort?“
Noah lächelte. „Gefällt es dir hier?“
„Und wie!“
Entlang der Straße, im Schatten des Waldes standen hübsche alte dunkle Holzhäuser.
„Das ist Lindenbrook. Der Ort steht unter Denkmalschutz. Er entstand um 1900. Ein entsprungener Häftling soll sich hier als Erster angesiedelt und ein Geschäft betrieben haben, oder vielmehr seine Frau. Er musste wohl hin und wieder in die Wildnis abtauchen.“
Ihre Augen leuchteten, als sie ein Geschäft entdeckt, in dem Quilts verkauft wurden, und ein wunderschönes Café gab es hier auch. „Wie hast du diesen Ort gefunden?“
Noah lachte und begann, seine Lederjacke und die Helme zu verstauen. „Dachte ich mir doch, dass du dich in dem Laden umsehen möchtest. Das Angebot ist größer, als man erwartet. Als ich das letzte Mal hier war, hätte ich dir fast etwas mitgebracht. Aber die Verkäuferin riet ab und erklärte mir, dass Quilterinnen ziemlich wählerisch seien.“
Damit war ihre Frage nicht beantwortet. Doch sie fragte kein zweites Mal, weil sie sich die Antwort selbst geben konnte und ihn nicht an seine Suche nach Belinda erinnern wollte.
„Möchtest du die Jacke anbehalten?“ Sein Tonfall bestätigte, dass sie richtig vermutet hatte. Auch er wollte alles vergessen, was an das bevorstehende Ende ihrer gemeinsamen Zeit erinnerte.
Sie zog die Jacke aus und reichte sie ihm. „Habe ich Helm-Haare?“
„Nur ein bisschen.“ Er kam zu ihr geschlendert. „Darf ich?“ Dann zog er das Band aus ihrem Zopf, löste ihn und lockerte das Haar, bis es in Wellen auf ihre Schultern fiel. „So ist es gut“, flüsterte er und küsste sie.
Süß und zärtlich schmeckte sein Kuss. Sie zog ihn enger an sich. „Mehr!“
„Ich mag es, wenn du das sagst“, flüsterte er an ihren Lippen und küsste sie weiter, mit einer Zärtlichkeit, die sie beschwipste.
„Möchtest du etwas trinken? Kaffee? Tee?“, fragte er irgendwann mit heiserer Stimme. Offenbar fiel es ihm schwer, nicht hier auf offener Straße die Beherrschung zu verlieren.
Sie nickte.
Arm in Arm und ohne zu sprechen schlenderten sie zum Café und suchten sich dort ein schattiges Plätzchen.
Sie tranken heiße Schokolade, küssten sich die Spuren der süßen Flüssigkeit von den Lippen und plauderten über alles Mögliche, nur um nicht zu schweigen oder über Abschied zu sprechen. Sie redeten über Filme und Bücher. Er erzählte, wie er seine Liebe für alte Häuser entdeckt hatte und die Idee entstanden war, das Geschäft auf Restaurierungen, Ausbau und Umbau zu verlegen. Und dann gestand er, wie gerne er in Hinchliff lebte. Zu seinem eigenen Erstaunen, denn schließlich war er ein Großstadtkind. Das ruhige Leben gefiel ihm so sehr, dass er keine Lust verspürte, es jemals aufzugeben.
Erst als die Kellnerin kam und fragte, ob sie noch etwas bestellen wollten, schaute Noah auf die Uhr. „Zeit zum Mittagessen. Die Pizza hier schmeckt köstlich. Aber es dauert mindestens zwanzig Minuten, bis sie serviert wird. Willst du dich so lange in dem Quiltgeschäft umsehen?“
Hand in Hand
Weitere Kostenlose Bücher