Julia Extra Band 0295
nichts, sie musste ehrlich zu dem Kind sein.
„Tim, dein Vater wollte mich heiraten. Aber ich dachte, das sollte ich lieber nicht tun.“
„Aber warum nicht? Wegen mir? Weil ich so unartig gewesen bin?“ Bittend sah er sie an. „Ich will mich bessern, Jen. Ich verspreche es. Ich kann artig sein.“
„Oh, Tim!“ Sie schloss ihn wieder in die Arme und küsste ihn auf Stirn und Wangen. „Du bist ein guter Junge. Es ist nicht wegen dir.“
„Du hast Dad lieb, nicht wahr; Jen? Ich merke es, wenn du ihn anguckst. Dann hast du ganz blöde Augen.“
Jennifer unterdrückte das Lachen und die aufsteigenden Tränen.
„Warum willst du nicht unsere Mummy sein?“, rief der Kleine plötzlich.
Jennifer zögerte. „Es liegt nicht an dir oder deiner Familie. Es liegt an mir. Ich habe ein Problem.“
„Kannst du es nicht lösen“, murmelte der Junge an ihrer Schulter.
„Nein.“ Es fiel ihr schwer, von Cody zu sprechen, obwohl es ihr half, dabei Tim in den Armen zu halten. „Vor ein paar Jahren habe ich meinen kleinen Jungen verloren. Cody ist gestorben. Er war sehr krank. Die Krankheit hatte ich ihm vererbt. Wenn ich wieder ein Baby bekomme, wird es auch krank auf die Welt kommen. Und das macht mich traurig. Ich dachte, ich kann ohne ein eigenes Baby nicht leben. Aber noch viel we niger kann ich ohne dich leben, Tim. Aber das weiß ich erst jetzt.
Tim hob den Kopf und sah sie mit verzweifelten Augen an. „Kann Rowdy nicht dein kleiner Junge sein? Und Cilla dein kleines Mädchen? Wir brauchen eine Mummy, Jen!“, schrie er wieder, und sein Körper bebte. „Dad lacht nicht mehr, und Cilla nuckelt wie verrückt und klettert wieder auf Bäume, und Rowdy heult nur noch herum. Er will gar nicht mehr spielen …“ Mit der Faust wischte er seine Tränen fort. „Alle brauchen dich, Jen. Bitte werde doch unsere, äh, ihre Mummy. Und sei wieder gut zu Daddy, und mach ihn glücklich. Und wenn du unbedingt zwei kleine Jungen brauchst, dann kann ich auch dein kleiner Junge werden.“
Wie mutig und tapfer dieses arme Kind die Wahrheit aussprach. Eine Wahrheit, die Jennifer erlöste.
Sie würde nie ein eigenes Kind mehr bekommen, doch die letzten sechs Wochen hatten sie gelehrt, dass die Brannigans für sie Glück bedeuteten und nicht nur das Zweitbeste, was das Leben für sie bereithielt. Sie brauchte die Kinder viel mehr, als die Kinder sie brauchten. Das war von Anfang an so gewesen, doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Sie liebte sie, wie eine Mutter ihre Kinder liebte. Und sie liebte Noah, so sehr, dass sie sich wie abgestorben fühlte, wenn er nicht bei ihr war.
„Du glaubst wirklich, dass dein Dad mich vermisst, Liebling?“, fragte sie mit Herzklopfen.
„Das weiß ich, Jen. Immer wenn wir zu dir gehen wollen, wird Dad traurig.“ Er hob den Kopf. „Jen?“, fragte er erwartungsvoll.
Sie nickte, lächelte und küsste ihn. „Du bist der beste Junge der Welt, Tim. Ich bin sehr stolz darauf, dass du einer meiner beiden Söhne sein willst. Aber mein kleiner Junge kannst du nicht werden. Das muss du Rowdy überlassen. Du bist mein großer Junge.“ Sie lachte, weil Tim vor Erleichterung aufatmete. „Würdest du jetzt bitte durch das Fenster zurück in dein Zimmer klettern und genau das tun, worum ich dich bitte?“
14. KAPITEL
Der Ofen war wieder ausgegangen.
Genervt legte Noah Feueranzünder unter die Holzscheite, stopfte geknüllte Zeitung dazu, entfachte das Ganze und schloss die Glastür. Während er beobachtete, wie die Flammen hochschlugen, wunderte er sich, wie ein Leben ohne Verschnaufpausen sich trotzdem so leer anfühlen konnte.
Tims Worte waren ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen und hatten seine Gedanken aufgewirbelt.
Sechs Wochen hatte er von Jennifer nichts mehr gehört. Es kam ihm so lang vor wie ein Jahr.
Er hatte längst aufgehört, zu ihrem Haus hinüberzuschauen und sich zu fragen, ob sie zu ihm käme. Es war offensichtlich, dass sie den Kontakt zu ihm mied. Sie hatte ihre Meinung nicht geändert. Sie liebte ihn zwar, aber nicht genug.
Lindas Beerdigung war gar keine gewesen, sondern nur eine Trauerfeier, denn die Polizei gab ihre Überreste nicht frei, solange der Fahrerflüchtige nicht gefasst war. Den Kindern verschwieg er das.
Peter und Jan hatten einen neuen Kreuzzug begonnen. Sie suchten nach dem Schuldigen, damit er sich für den Tod ihrer Tochter verantwortete. Dafür konnte Noah sie nicht schelten. Doch er erlaubte seinen Schwiegereltern nicht, ihr Verlangen nach
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