Julia Extra Band 0297
die Hand zur Begrüßung entgegen.
„Wie geht es Ihnen, Miss Spencer? Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug? Ich bin James Marsden.“ Sein Händedruck war fest und kühl. „Mein Chauffeur hat seit heute Morgen Probleme mit dem Knie. Arthritis. Deshalb bin ich selbst hier, um Sie abzuholen. Er wartet im Wagen auf uns.“
Das war James Marsden? Rebeccas Großonkel? Der Earl of Winterborne?
Im ersten Augenblick hätte sie beinahe gelacht. Kein Wunder, dass er nicht ihrem Bild von einem Chauffeur entsprach. Aber lieber Himmel, er passte genauso wenig zu ihrer Vorstellung eines Earls. In ihrer Fantasie hatte sie einen älteren, weißhaarigen Gentleman mit dunklem Schnurrbart, Gehstock und Irischem Wolfshund vor sich gesehen.
„Das ist sehr nett von Ihnen“, erwiderte sie und bemühte sich um einen höflichen Gesichtsausdruck, anstatt amüsiert zu glucksen. Es gelang ihr auch. Dennoch schien der Earl of Winterborne bemerkt zu haben, dass sie ein Lächeln unterdrücken musste. Wieder runzelte er die Stirn, und für eine Sekunde glaubte sie, dass er sie fragen würde, was so lustig war. Doch dann zuckte er nur mit den Schultern und trat einen Schritt vor, um mit Leichtigkeit ihren Koffer vom Gepäckwagen auf den Boden zu heben.
„Ist das Ihr ganzes Gepäck?“, fragte er.
„Ja.“ Jetzt war sie froh, dass sie nur ihre besten Kleider eingepackt hatte.
„Dann reisen Sie mit sehr leichtem Gepäck, Miss Spencer.“
Beinahe hätte sie schon wieder gelacht. Er ahnte ja nicht, wie schwer ihre Umhängetasche war. In die hatte sie alles hineingestopft, was sie vielleicht während des langen Flugs brauchte.
„Bitte nennen Sie mich Marina.“
Jetzt lächelte er – wenn man ein leichtes Heben der Mundwinkel als Lächeln bezeichnen konnte. „Australier reden sich sehr schnell mit dem Vornamen an, nicht wahr?“
„Wir halten uns nicht unnötig lange mit Formalitäten auf, das ist richtig“, entgegnete sie und fragte sich dabei, ob sie ihn irgendwie beleidigt hatte. Sein Kommentar klang so trocken, beinahe sarkastisch. Oder missbilligend?
Das halbe Lächeln verschwand so schnell, wie es erschienen war. Er verhielt sich im direkten Umgang genauso steif und formell wie in seinem Brief, entschied sie. Doch während die geschriebenen Worte noch ganz süß geklungen hatten, wirkte sein elitäres Verhalten nicht mehr sonderlich einnehmend. Marina beschloss jedoch, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen.
„Und wie soll ich Sie nennen?“, fragte sie. „Wie spricht man einen Earl überhaupt an?“
Leicht gequält hob er eine Augenbraue, als sei mit dieser betont ungezwungenen Art zwar zu rechnen gewesen, wenn er sie auch nur gerade so tolerierte. „Normalerweise mit Mylord“, antwortete er kühl. „Oder in meinem Fall Lord Winterborne.“
Seine Aufgeblasenheit stachelte sie zur Rebellion an. „Das klingt unheimlich steif. Wie ertragen Sie das nur? Bei uns würde man Sie einfach nur James nennen. Oder Jim. Vielleicht sogar Jack. Doch wie sagt man so schön – andere Länder, andere Sitten. Und natürlich möchte ich keinesfalls gegen die Regeln verstoßen, während ich hier bin.“
Wieder schenkte er ihr einen seiner leicht beunruhigenden Blicke. „Nein, natürlich nicht“, erwiderte er und sah eindringlich auf ihre linke Hand, an der sie den diamantenen Verlobungsring trug.
Was Marina daraufhin für ein Gedanke durch den Kopf schoss, entsetzte sie maßlos. Sie spürte, wie ihre Haut zu prickeln begann und ihre Wangen ganz heiß wurden. Als er wieder zu ihr aufblickte, hoffte sie inständig, dass er nicht den Grund für ihr so gänzlich ungewohntes Erröten erriet.
„Dann müssen Sie mich natürlich James nennen“, sagte er mit steifer Galanterie. „Kommen Sie.“ Mit der rechten Hand griff er nach ihrem Koffer, mit der linken nach ihrem Ellbogen. „Sie müssen müde sein. Ich bringe Sie in meine Wohnung in Mayfair. Dort können Sie etwas Anständiges essen und sich dann ausruhen. Heute Nachmittag fahren wir ins Krankenhaus, damit sie Rebecca kennenlernen.“
Bei diesem Satz überkamen Marina heiße Schuldgefühle, weil sie den eigentlichen Grund ihrer Reise für einen Moment aus den Augen verloren hatte.
„Wie geht es Rebecca?“, fragte sie besorgt. Nur deshalb bin ich hier, ermahnte sie sich streng. Nicht um mich unpassenden Fantasien über Lord Winterborne hinzugeben.
„Sie freut sich sehr darauf, Sie kennenzulernen“, antwortete er. „Ich muss Sie allerdings vorwarnen. Sie ist sehr
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