Julia Extra Band 0302
unverhältnismäßig schroff auftrat. Dabei wappnete sie sich innerlich gegen seine bemerkenswerte Attraktivität, was einfacher gesagt als getan war.
Obwohl sie bislang nur äußerst spärliche Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt hatte, war sie sich bewusst, dass es nur wenige derart atemberaubende Männer gab. Vermutlich lag hierin einer der Gründe für seine Arroganz und sein berühmt-berüchtigtes Temperament. Salvatore Cardini – Oberhaupt der einflussreichen Cardini-Familie. Hinreißend, dominant und der Schwarm so ziemlich jeder Frau in London, wenn man den Gerüchten im Mitarbeiterraum Glauben schenken durfte.
„Ja, Sir?“, entgegnete sie ruhig, auch wenn es nicht gerade einfach war, seinem stechenden Blick standzuhalten.
„Haben Sie nicht gemerkt, dass ich mit Ihnen spreche?“
Sie steckte ihren Mob in den Putzeimer und räusperte sich leise. „Um ehrlich zu sein, nein. Ich dachte, Sie führen Selbstgespräche.“
In seinen Augen blitzte es gefährlich. „Nein, das tue ich nicht“, sagte er eisig in seinem schwach akzentuierten, flüssigen Englisch. „Selbstgespräche sind nicht mein Fall. Ich bringe meinen Unmut offen zum Ausdruck, und wenn Sie nur ein bisschen aufnahmefähig wären, wüssten Sie das auch.“
Was er wohl damit andeuten will, dachte sie wütend. Wenn ich aufnahmefähiger wäre, würde ich bestimmt nicht die Fußböden seiner Büroräume schrubben?
Während der letzten Monate, seit der mächtige Besitzer von Cardini Industries aus seiner Heimat Sizilien eingeflogen war, hatte sie sich angewöhnt, seine unvorhersehbaren Launen zu ignorieren. Wenn Signor Cardini mit ihr zu sprechen wünschte, durfte er sich ihretwegen ruhig alles von der Seele reden, was ihn bewegte. Ihre Arbeit würde sie so oder so erledigen.
„Es tut mir leid, Sir“, entschuldigte Jessica sich mit ernstem Gesicht. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“
„Das bezweifle ich.“ Schlecht gelaunt wandte er sich wieder seinem Computerbildschirm zu. „Ich bin morgen Abend zu einem Geschäftsessen eingeladen.“
„Wie nett.“
Er drehte seinen dunklen Kopf zur Seite und warf ihr einen finsteren Blick zu. „Nein, das ist nicht nett “, äffte er sie nach. „Warum beschreibt ihr Engländer ständig alles als nett ?Es ist ein notwendiges Übel. Wer über einigermaßen guten Geschäftssinn verfügt, isst eben mit diesen Leuten.“
Hilflos sah Jessica ihn an. „Dann sehe ich wirklich nicht, wo das Problem liegt.“
„Das Problem sieht folgendermaßen aus: Mein Geschäftspartner ist, wie es scheint, mit einem ziemlich herrischen Weib verheiratet.“ Noch einmal ging er die E-Mail durch, die er gerade bekommen hatte, und verzog angewidert den Mund. „Und diese Dame hat offenbar viele Freunde. Amy freut sich sehr darauf, Sie kennenzulernen “, las er laut vor. „ Ebenso wie ihre Freundinnen. Manche davon muss man sehen, bevor man glauben mag, dass solche Frauen existieren! Keine Ban ge, Salvatore, noch bevor dieses Jahr zu Ende geht, haben wir dich mit einer Engländerin verlobt! “
„Was ist so verkehrt daran?“, fragte Jessica vorsichtig, während sich ein völlig unpassendes Gefühl von Eifersucht in ihr ausbreitete.
Ihr Chef schnaubte verächtlich. „Warum mischen sich Menschen so unheimlich gern in alles ein?“, wollte er wissen. „Und warum, in Dios Namen, glauben sie, dass ich eine Ehe frau brauche?“
Ratlos zuckte sie die Achseln. Wahrscheinlich erwartete er keine direkte Antwort auf diese Frage. Außerdem wusste sie tatsächlich nicht, was sie dazu sagen sollte. Im Stillen ging sie davon aus, dass sein Geschäftspartner ihn verheiraten wollte, weil er ein wohlhabender, einflussreicher und auffallend schöner Mann war. Das könnte sie jedoch nicht laut aussprechen!
Trotz seines aufsehenerregenden Erscheinungsbilds fand Jessica Salvatores Gesicht aus der Nähe recht kühl und verschlossen. Die feinen Lippen waren ohne Frage unglaublich sinnlich, leider jedoch lächelte Salvatore so gut wie nie, und zudem konnte er Menschen mit einem einzigen harten Blick zutiefst verunsichern. Andererseits verzieh man ihm fast alles, weil er einfach so verdammt selbstsicher war.
Schon mehrfach hatte Jessica beobachtet, wie die unterschiedlichsten Frauen in seiner Gegenwart die Fassung verloren. Seine einflussreichen Kollegen fürchteten und bewunderten ihn gleichermaßen und übertrugen ihm grundsätzlich bei Verhandlungen die Leitung. Und ihr persönlich gefiel es einfach, ihm
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