Julia Extra Band 0309
eine andere?“, unterbrach der Alte Theos Gedanken. „Eigentlich hatte ich erwartet …“, stirnrunzelnd hielt er inne, „wie hieß sie noch mal?“
„Kerry“, antwortete Theo gepresst. Ihm war nicht entgangen, dass Drakon die Vergangenheitsform benutzt hatte. Ganz sicher weiß er, dass sie nicht mehr meine Freundin ist, mutmaßte Theo. „Sie heißt Kerry.“
„Ach ja, Kerry. Stimmt. Ein entzückendes junges Ding – sie hat mich an meine Frau erinnert, damals, als wir noch jung waren. Eigentlich hatte ich erwartet, eine Heiratsanzeige in der Zeitung zu lesen. Es war ja nicht zu übersehen, dass die Kleine bis über beide Ohren in Sie verliebt war. Aber wie ich Sie kenne, haben Sie sie längst vergessen.“ Abrupt wandte er sich um und schlurfte davon.
„Meine persönlichen Angelegenheiten tun hier gar nichts zur Sache! Ich trenne grundsätzlich Privates und Geschäftliches“, rief Theo ihm nach.
Aber wahrscheinlich sieht der Alte das nicht so, dachte er, und sein Mut sank. Offensichtlich fand Drakon Theos Privatleben durchaus wichtig. Er war eben sehr konservativ, und wenn Theo es nicht schaffte, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, bedeutete das einen dicken Minuspunkt. Außerdem hatte der alte Mann Kerry anscheinend richtig ins Herz geschlossen.
„Für mich haben die traditionellen Werte eben noch eine Bedeutung“, antwortete er jetzt über die Schulter hinweg. „Ich halte gar nichts von diesen schnelllebigen Zeiten und der Wegwerfmentalität.“
„Wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie, dass wir da gar nicht so verschieden sind“, erwiderte Theo.
Am liebsten wäre er Drakon nachgelaufen und hätte ihn davon überzeugt, dass er überhaupt nicht vorhatte, ein Hotel auf der Insel zu bauen. Aber dann hätte er ihm auch erzählen müssen, warum ihm diese Insel so wichtig war – und dazu war er nicht bereit. Das ging niemanden etwas an. Schon gar nicht einen rechthaberischen alten Mann, der meinte, anderen seine Moralvorstellungen aufzwingen zu können.
„Dann kommen Sie ein anderes Mal wieder … zu einem rich tigen Besuch … und bringen Sie Kerry mit.“ Mit diesen Worten verschwand Drakon in seinem Haus.
Frustriert sah Theo ihm nach. So fragil der Alte auch wirkte, sein Wille war offensichtlich ungebrochen.
„Würden Sie mir erlauben, Sie zum Hubschrauberlandeplatz zurückzubegleiten?“ Drakon Notaras Assistent war unbemerkt herangetreten und legte eine Hand auf Theos Arm.
„Ich kenne den Weg“, sagte dieser und schüttelte unwillig die Hand ab. In Gedanken versunken und blind für die atemberaubende Aussicht auf das Ägäische Meer eilte er den Pfad entlang.
Ich brauche Kerry, dachte er. Wenn ich den Wunsch meiner Mutter erfüllen will, dann werde ich es nur mit Kerrys Hilfe schaffen.
„Vielen herzlichen Dank.“ Der Kunde bedankte sich überschwänglich. Als er ging und die Tür öffnete, ließ er einen Schwall kalter, feuchter Luft herein.
„Ihr Urlaub wird sicher fantastisch. Ich war auch einmal in Kreta und würde jederzeit wieder hinfahren.“ Kerry stand auf und schloss die Tür mit Nachdruck.
Einen Moment blieb sie stehen und blickte auf die regennasse Straße. Wie wundervoll es wäre, jetzt am Strand in der Sonne zu liegen und mit Lucas zu spielen, dachte sie wehmütig. Ihr Sohn war jetzt sechs Monate alt, und es war unwahrscheinlich, dass sie in naher Zukunft Gelegenheit haben würde, mit ihm in Griechenland Sandburgen zu bauen. Nicht bei ihren schwierigen finanziellen Verhältnissen. Vor vierzehn Monaten hatte sie Athen verlassen – Hals über Kopf und todunglücklich. Die erste Zeit in London war ein Albtraum gewesen. Kerry hatte versucht, die Scherben ihres Lebens wieder zusammenzukehren. Aber das war nicht einfach. Sie hatte kein Geld, keine Arbeit und keine Wohnung … und war obendrein auch noch schwanger.
„Es ist bald Zeit für deine Mittagspause“, unterbrach ihre Kollegin Carol diese trüben Gedanken. „Von mir aus kannst du schon gehen. Ich halte inzwischen hier die Stellung.“
„Vielen Dank, du bist ein Schatz. Ich bin schon halb verhungert. Lucas ist ja wirklich ein goldiges Kind, aber er weckt mich jeden Morgen bei Tagesanbruch. Da habe ich um diese Uhrzeit bereits einen Bärenhunger.“
In diesem Moment ging erneut die Tür auf, und der eisige Luftzug ließ sie erschauern.
„Man sollte nicht glauben, dass wir bereits Juni haben“, rief sie und zog fröstelnd die Jacke enger um sich. „Guten Morgen, kann ich Ihnen …“ Das Wort
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