Julia Extra Band 359
streiten, sagte er versöhnlich: „Sobald ich das erledigt habe, kehre ich so schnell wie möglich zu dir zurück.“ Er versuchte sogar ein Lächeln, das allerdings etwas schief ausfiel. „Ich freue mich schon auf unsere Flitterwochen.“
Mit einem Knall schlug sie das Buch zu. „Ziemlich leichtsinnig von dir, Zukunftspläne zu schmieden, findest du nicht? Wer weiß, ob du die Zukunft überhaupt erlebst. Der tapfere Harun allein gegen eine Bande Verbrecher … Dir ist doch klar, dass dich diese ehrenvolle Mission das Leben kosten kann, oder?“
Ein erstickter Schrei, dann sprang sie auf und verließ fluchtartig den Raum. Doch Harun bemerkte noch die Tränen, die über ihr Gesicht strömten, und er hörte ihr verzweifeltes Schluchzen.
Er versuchte, ihr zu folgen, wollte sie trösten, sich mit ihr versöhnen, aber sie hatte sich in den Bereich des Palastes zurückgezogen, in dem Männer keinen Zutritt hatten. Sie hatte ihn demonstrativ aus ihrem Leben ausgesperrt.
10. KAPITEL
Vier Monate später
Wieder und wieder sah sich Amber auf DVD die Wiederholung der Rede an, in der Harun die Regierungsgewalt offiziell an seinen Bruder übergab, den er als rechtmäßigen Regenten von Abbas al-Din bezeichnete. Er verzichtete auf jeden Herrschaftsanspruch und kündigte an, das Land für lange Zeit zu verlassen. Weiterhin wünschte er seinem Bruder Glück für dessen Ehe mit Hana al-Sud, die er ausdrücklich für ihren edlen Charakter und ihre Loyalität lobte. Dann verabschiedete er sich und verließ das Rednerpodium.
Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm gehört.
Hin und her gerissen zwischen Wut und Sorge schaltete Amber den Fernseher aus. Sie schwor sich zum wohl hundertsten Mal, sich diese Rede nicht noch einmal anzuschauen … in dem Bewusstsein, dass sie diesen Schwur schon heute Abend brechen würde. Und morgen, und übermorgen … nur unterbrochen von unruhigen Nächten und dem halbherzigen Versuch, ihrer Familie Zufriedenheit mit dem Leben in der Isolation vorzugaukeln.
Amber hatte sich in die ehemaligen Frauenräume zurückgezogen, betreut von einer Zofe, bewacht von einem Bodyguard. Der einzige Lichtblick in ihrem Leben stellte ihr Studium dar. Endlich hatte sie sich wenigstens einen Traum verwirklicht und Archäologie-Kurse an der Fern-Universität belegt. Nur in den Stunden, in denen sie sich in ihre Bücher vertiefte, konnte sie der trostlosen Realität ihres Lebens und der Sorge um ihren Mann halbwegs entfliehen.
In zwei Tagen fand die Hochzeit von Hana und Alim statt. Amber erwartete nicht wirklich, dass Harun sich anlässlich dieses Ereignisses blicken lassen würde. Sein Bruder wohl ebenfalls nicht, obwohl er bis jetzt keinen Trauzeugen benannt hatte. Hoffte er insgeheim doch noch auf Haruns Rückkehr?
Harun … alles schien sich nur um ihn zu drehen. Warum konnte sie nicht endlich mit ihm abschließen, so wie er es offensichtlich mit ihr getan hatte? Wieso geisterte er ständig durch ihre Gedanken? Warum konzentrierte sie sich nicht auf ihr eigenes Leben, an dem er sowieso nie Anteil gehabt hatte?
Weil ich kein eigenes Leben habe, keinen Ort, wohin ich gehen könnte.
Unruhig sprang sie auf und widerstand nur knapp der Versuchung, die Fernbedienung gegen den Fernseher zu schleudern. Sie verfügte über kein nennenswertes persönliches Vermögen, und auf ihre Familie konnte sie nicht zählen, wenn es darum ging, sie dabei zu unterstützen, ihren Mann zu verlassen.
Nein, sie war die Ehefrau eines Scheichs in einem traditionsbewussten, konservativen Land. Ein weiteres vergessenes Schmuckstück in den Schatzkammern des Palasts.
Sehnsüchtig starrte sie aus dem Fenster. Was würde sie darum geben, Flügel zu haben und einfach davonfliegen zu können. Doch aus ihrem goldenen Käfig gab es kein Entkommen.
Zwei Tage später
„Wie ich höre, akhi , brauchst du noch einen Trauzeugen.“
Alim, knapp eine Stunde vor der Hochzeitzeremonie damit beschäftigt, sich anzukleiden, fuhr mit einem heiseren Ausruf des Erstaunens herum. Und sah Harun grinsend im Türrahmen lehnen. Zum Umfallen müde, aber gesund und gut gelaunt.
Sekunden später fand Harun sich in einer herzlichen Umarmung wieder. „ Akhi , kleiner Bruder, du lebst!“ Alim drückte ihn erleichtert an sich. „Ich hatte solche Angst …“
„Schon gut, du erdrückst mich ja“, beklagte sich Harun lachend. „Ich bin okay und habe gute Neuigkeiten im Gepäck.“
Alim hielt ihn ein Stück von sich ab, um ihn von oben bis unten zu mustern.
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