Julia Extra Band 374
kleines Mädchen nicht davon geträumt, Rechtsanwältin zu werden?“, hakte er nach. „Sie haben Ihre Puppen nicht ins Kreuzverhör genommen?“
„Nein.“
„Und wie sind Sie schließlich eine geworden?“
„Ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll.“
Niklas sah auf seine Armbanduhr. „Ich habe neun Stunden Zeit.“ Er traf die Entscheidung in diesem Moment: Er würde sich in diesen Stunden ihr widmen.
„Okay …“ Meg überlegte, wie sie es ihm am besten erklären konnte. „In meiner Familie bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Von klein auf hatte ich Klavierunterricht, Geigenunterricht, Ballettstunden und Nachhilfelehrer. Meine Eltern haben ständig meine Hausaufgaben kontrolliert. Alles war darauf ausgerichtet, mich auf die beste Schule zu schicken, damit ich die besten Noten bekommen und auf die beste Universität gehen konnte. Was ich getan habe. Aber der Druck ist bloß immer noch größer geworden. Ich habe mich einfach geduckt und weitergearbeitet. Jetzt bin ich vierundzwanzig Jahre alt und nicht sicher, dass ich so lebe, wie ich es will …“
Es verständlich zu machen war schwierig, weil sie nach außen hin ein sehr schönes Leben hatte.
„Ihre Eltern verlangen zu viel.“
„Das wissen Sie nicht.“
„Sie hören Ihnen nicht zu.“
„Das wissen Sie auch nicht.“
„Doch. Mindestens fünfmal haben Sie am Telefon gesagt ‚Mum, ich muss auflegen‘ oder ‚Mum, ich muss jetzt wirklich Schluss machen‘.“
Meg lächelte. Nicht, weil Niklas sie nachahmte, sondern weil er mitgehört hatte. Zwar war er schlecht gelaunt gewesen und hatte sie absichtlich nicht beachtet, aber aufgefallen war sie ihm trotzdem.
„ So müssen Sie das machen.“ Niklas hielt ein unsichtbares Telefon hoch und schaltete es aus.
„Ich kann nicht“, gab sie zu. „Tun Sie das?“
„Natürlich.“
Er ließ es so einfach klingen.
„Und das allein ist es nicht. Meine Eltern wollen immer alles über mein Leben erfahren.“
„Wenn sie Fragen stellen, die Ihnen nicht passen, dann sagen Sie es ihnen einfach. Sagen Sie: ‚Ich möchte nicht darüber sprechen‘“, schlug er vor.
„Ich will sie ja nicht kränken. Wie schwierig es mit den Eltern manchmal sein kann, wissen Sie doch.“
„Nein. Vollwaise zu sein hat gewisse Vorteile.“
Sein Ton forderte nicht zu Mitgefühl auf. Niklas lächelte sogar, als hätte sie keinen Grund, verlegen zu sein, als würde er ihr die Bemerkung nicht übel nehmen.
„Es tut mir leid.“
„Braucht es nicht.“
„Aber …“
„Darüber möchte ich nicht sprechen.“
Im Gegensatz zu ihr fiel es ihm leicht, das zu sagen. Er lenkte das Gespräch zurück auf sie, und fertig.
„Was würden Sie denn gern beruflich machen?“
„Sie sind der Erste, der mich das fragt.“
„Der Zweite“, verbesserte Niklas. „Ich glaube, Sie haben sich das selbst schon oft gefragt.“
„In letzter Zeit, ja.“
„Und? Was möchten Sie werden?“
„Küchenchefin.“
Weder lachte er noch spottete er, dass sie dann ja wohl wissen sollte, was Beefsteak-Tatar war.
„Warum?“
„Weil ich gern koche.“
„Warum?“, fragte Niklas.
Nicht, als wäre es ihm unbegreiflich, wie man dazu Lust haben konnte. Es schien ihn wirklich zu interessieren.
„Wenn jemand etwas isst, was ich gekocht habe, und eine Sekunde lang die Augen schließt …“ Meg hatte Schwierigkeiten, es richtig zu erklären. „Als Sie sich den ersten Bissen von den Blinis in den Mund geschoben haben, da gab es diesen Moment …“ Sie sah ihn flüchtig lächeln. „Die Blinis haben fantastisch geschmeckt?“
„Ja.“
„Ich habe mir gewünscht, ich hätte sie zubereitet. Ich liebe es, Lebensmittel zu kaufen, ein Essen zu planen, es zu kochen und zu servieren.“
„Für diesen einen Moment?“
„Ja.“ Meg nickte. „Und ich weiß, dass ich es gut kann. Ganz gleich, wie unzufrieden meine Eltern mit meinen Schulnoten oder Entscheidungen waren, wenn ich sonntags für die Familie gekocht habe, waren sie jedes Mal begeistert. Und dennoch war das der eine Beruf, von dem sie mir immer abgeraten haben.“
„Warum?“ Diesmal fragte Niklas, weil er es nicht verstand.
„‚Warum willst du denn in einer Küche arbeiten?‘“, ahmte Meg ihre Mutter nach. „‚Nach all den Möglichkeiten, die wir dir geboten haben.‘ Vielleicht hätte ich mich gegen meine Eltern behaupten sollen, aber mit vierzehn ist das schwer. Mit vierundzwanzig ist es noch immer schwer.“
„Wenn Kochen Ihre Leidenschaft ist, dann
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