JULIA FESTIVAL Band 76
Zauber, der die Wirklichkeit in Schach hielt.
„Unterschrieben und besiegelt.“ Frank Davidson schob die Kappe auf den Füllfederhalter und lächelte. „Mein Junge, Sie sind gerade ein millionenschweres Unternehmen losgeworden. Bereuen Sie es?“
Chase blickte an ihm vorbei auf die Menschen, die bei der Unterzeichnung des Vertrags zugesehen hatten. Die Gesichter verrieten Hoffnung und Zuversicht. Neben der Tür stand Jenny. Er hatte nicht gehört, wie sie das Büro seines Vaters betreten hatte. Aber er hatte ihre Anwesenheit gespürt, so deutlich wie den Boden unter seinen Füßen.
Das Make-up verbarg nicht, wie blass sie war, wie sehr sie litt. Chase wusste, dass er noch schlimmer aussah. Ihnen blieben noch vier Tage. Vier Nächte. Die Anwälte hatten ungewöhnlich schnell gearbeitet. Vor einer Woche wäre er froh darüber gewesen. Jetzt wünschte er, er könnte die Uhr zurückdrehen und die kurzen Stunden in Jennys Armen noch einmal durchleben.
Er sah Frank Davidson an. „Es gibt nur eins, das ich bereue.“
„Zu spät.“ Jennys Vater zeigte auf den Champagner, der auf dem Schreibtisch wartete. „Jetzt wird gefeiert. Wo sind die Gläser?“
Die Gläser wurden gefüllt, und man stieß auf das Wohl der neuen Firma an. Als Chase wieder zur Tür sah, war Jenny fort. Er dachte daran, ihr zu folgen, tat es jedoch nicht. Er wusste nicht mehr, was er ihr sagen sollte. Im Morgengrauen hatte er sie ein letztes Mal angefleht. Er hatte seinen Körper sprechen lassen. Sie hatte das Flehen gehört, und ihre Antwort war dieselbe geblieben.
Sie wollte nicht aus Harrisburg weg.
Er zwang sich, den Gratulanten zuzulächeln, und ging langsam zur Tür. Wortlos schritt er durch die Menge, die vor dem Verwaltungsgebäude stand. Am Eingang zur Werkshalle setzte er Stahlhelm, Schutzbrille und Ohrenschützer auf. Die Hochöfen brannten heiß und grell. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Schon nach wenigen Sekunden lief ihm der Schweiß über den Rücken. Der Geruch und der Ruß drangen ihm in Nase und Mund. Er sehnte sich nach der sauberen Wüstenluft. Wie so oft, seit er hier war, sah er sein Haus vor sich, die Anhöhe, die orangerote Sonne am westlichen Horizont. Er hörte, wie die Vögel zwitscherten und der Hund seines Nachbarn bellte. Aber diesmal war etwas anders. Jenny wartete an der Tür. Sie hielt ein Kind auf dem Arm und ihr gerundeter Bauch ließ erkennen, dass das nächste bereits unterwegs war. Ihr Lächeln zog ihn an. Ihre Liebe hüllte ihn ein und vertrieb seine Sorgen.
Elf Jahre lang hatte er versucht, sie zu vergessen. Vergeblich.
Er hörte seinen Namen und drehte sich um. Mark Anders winkte ihm von einer Plattform aus zu.
„Was denn?“, fragte Chase und nahm die Ohrenschützer ab.
„Ich wollte mich nur bedanken. Ich stehe in deiner Schuld.“
„Nein“, sagte er und setzte die Ohrenschützer wieder auf. „Wir sind quitt.“
Fast hätte er das abkühlende Stahlblech vor ihm berührt, doch in letzter Sekunde fielen ihm die Brandnarben an den Fingern ein. Er hatte dem Werk alles gegeben, was er besessen hatte. Er war davongerannt. Mit dreihundert Dollar und dem, was er am Leib trug. Morgen früh würde er statt eines Wagens ein Flugzeug nehmen, das war der einzige Unterschied. Er war mit nichts gekommen und würde mit nichts wieder gehen.
Nein, das stimmt nicht, überlegte er, als er ins Freie trat. Er hatte Jennys Liebe bekommen und ihr seine angeboten. Das hatte nicht gereicht, aber darüber würde er erst später nachdenken.
Als er das Verwaltungsgebäude erreichte, drehte er sich noch einmal zu den Werkshallen um. Rauch und Dampf stieg in den Himmel. Arbeiter eilten umher wie Zwerge, die einen hungrigen Drachen fütterten.
Jenny hatte ihn gebeten zu bleiben. Er schüttelte den Kopf. Er war durch die Hölle gegangen, und der Teufel lebte in einem Stahlwerk. Chase würde sein Leben für Jenny opfern, aber in Harrisville bleiben konnte er nicht.
Als er hochsah, entdeckte er sie an einem Fenster. Sie sah zu ihm hinunter. Sie hatten sich am Morgen voneinander verabschiedet. Mit Leidenschaft und Tränen.
Sie würden sich niemals wiedersehen.
„Chase!“ Frank Davidson verließ das Gebäude. „Ich habe Sie gesucht, mein Junge. Hier sind Ihre Vertragskopien.“
Chase nahm sie und blickte wieder zum Fenster hinauf. Jenny war verschwunden.
„Isst du jetzt dein Fleisch, Mädchen, oder willst du es den ganzen Abend auf dem Teller herumschieben?“
„Ich bin nicht hungrig“, erwiderte
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