Julia Gold Band 47
leisten.“
Chassa krauste die Nase. „In den ersten Monaten bin ich leider immer sehr müde.“ Über ihr Gesicht glitt ein Schatten. „Asif ist sehr unternehmungslustig. Er liebt den Sport und lange Nächte, aber ich bin nicht sehr unterhaltsam, wenn ich schwanger bin. Da darf ich mich nicht beklagen, wenn er so oft ausgeht. So, wie ich jetzt ausschaue, bin ich nicht sehr attraktiv.“
„Das ist Unsinn“, widersprach Polly energisch. Chassa ließ sich nicht trösten. „Du bist kein Mann.“ Schweigend zog Polly einen Badeanzug an und ließ Chassa nicht merken, dass sie ihr leidtat.
Asif war tatsächlich kaum zu Hause. In den vergangenen zwei Wochen hatte Polly die junge Frau ein halbes Dutzend Mal besucht. Jedes Mal war sie allein und dankbar für Pollys Gesellschaft gewesen. Das Zusammenleben mit dem unternehmungslustigen Asif verlief offenbar nicht ganz ungetrübt.
Raschid sollte am Wochenende zurückkehren. Polly hatte seit seiner Abreise nichts mehr von ihm gehört. Doch obwohl sie sich einzureden versuchte, froh darüber zu sein, beschäftigte sie sich viel zu viel mit ihm. Das lag sicher auch daran, dass sie bis auf die tägliche Arabischstunde kaum etwas zu tun hatte. Jezra besuchte tagsüber ein exklusives College in Jumani, abends lud sie gleichaltrige Freundinnen ein oder sah fern.
„Wo sind denn die Kinder?“, fragte Polly, als sie Chassa durch die Eingangshalle zum Swimmingpool im Innenhof folgte. Normalerweise spielten die beiden Kleinen draußen.
„Beim Kindermädchen. Sie haben mich am Vormittag ganz schön genervt. Ich hätte dich bitten sollen, die Rangen ein Weilchen zu übernehmen.“ Chassa zögerte, ehe sie sagte: „Du bist sehr kinderlieb, nicht wahr?“
Polly lachte. „Bei drei Schwestern und einem kleinen Bruder kommt man nicht darum herum. Deine beiden Mädchen sind wirklich süß.“
Sie ließ sich in das erfrischende klare Wasser des Pools gleiten und seufzte zufrieden. Es war herrlich entspannend. Nachdem Polly einige Bahnen geschwommen war, setzte sie zum Schutz gegen die grelle Sonne und das Glitzern des Wassers eine große dunkle Brille auf und ließ sich auf dem Rücken treiben.
„Du bist eine echte Freundin“, bemerkte Chassa, die sich am Poolrand auf einer Liege ausgestreckt hatte. „Taktvoll, wie es deine Art ist, stellst du keine Fragen, obwohl du spürst, dass zwischen Asif und mir etwas nicht stimmt.“
Polly hütete sich, dazu etwas zu sagen. Reibereien gab es überall einmal. Im Übrigen war Polly viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen befasst gewesen, um sich darüber Gedanken zu machen. „Wenn ich etwas für dich tun kann …“, erbot sie sich vorsichtig.
„Du bist lieb, aber mir kann niemand helfen“, wehrte Chassa traurig ab.
Helfen? Wobei? Wieder hatte Polly das Gefühl, dass jemand sie für besser unterrichtet hielt, als sie war. Unwillkürlich musste sie an Berah denken, über die sie immer noch so gut wie nichts wusste. Warum sollte sie Chassa nicht nach Raschids erster Frau fragen? Polly räusperte sich. „Könntest du mir etwas von Berah erzählen? Wie war sie?“
Chassa richtete sich auf. „Berah?“, wiederholte sie überrascht.
„Raschid spricht nie von ihr, und ich möchte ihn nicht nach ihr fragen“, gestand Polly. „Kanntest du sie näher? Soweit ich gehört habe, starb sie, kurz nachdem du Asif geheiratet hattest.“
„Ich bin ihr gelegentlich begegnet. Als Teenager war ich meist den Sommer über hier, während meine Eltern im Ausland waren. Auf diese Weise haben Asif und ich uns etwas kennengelernt“, berichtete Chassa.
„Während Raschid Berah vor der Hochzeit noch nie gesehen hatte, nicht wahr?“
Chassa verzog das Gesicht. „Prinz Achmed ist sehr altmodisch. Berah war streng nach alter Tradition erzogen worden. Sie hatte nicht studiert wie du und ich. Ihr Vater hielt nichts von gebildeten Frauen.“ Chassa seufzte. „Du möchtest wissen, wie Berah war? Sie war sehr schön, sehr weiblich, aber auch merkwürdig still und außerordentlich verschlossen.“
„Jezra sagt, sie sei oft unglücklich gewesen.“
Chassa wurde blass. „Ja, das stimmt. Berah neigte zu Depressionen, weil ihr Wunsch nach einem Kind sich nicht erfüllte. Sie hat Raschid sehr geliebt und betete ihn förmlich an. Die Kinderlosigkeit wurde bei ihr zur Besessenheit“, verriet Chassa nachdenklich, „aber ich denke, viele Frauen mussten sich mit Schlimmerem abfinden. Asif konnte Berah nicht ausstehen. Er behauptet, sie habe Raschid völlig
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