Jung, blond, tot: Roman
sie in die Ecke zu der übrigen Schmutzwäsche, die zu einem ansehnlichen Berg angewachsen war. Sie warf einen kurzen Blick darauf, nahm sich zum tausendsten Mal vor, die Waschmaschine zu füllen, würde es wahrscheinlich aber doch erst tun, wenn sie nichts mehr zum Anziehen im Schrank fand. Sie studierte die Fernsehzeitung, sah nach, ob ein Fernsehabend sich lohnte, und entschied, um Viertel nach acht »Kramer gegen Kramer« mit Dustin Hoffman zu sehen. Bis dahin blieb noch genügend Zeit, ein Bad zu nehmen, die Haare zu waschen, ein Gesichtspeeling zu machen. Als sie in die Wanne stieg, verscheuchte sie jeden Gedanken an den hinter ihr liegenden Tag, sie war eine Meisterin im Abschalten. Anders, so sagte sie sich, würde sie diese Knochenmühle nicht durchstehen, also ließ sie die Arbeit hinter sich, sobald sie die Schwelle zu ihrer kleinen Wohnung überschritt.
Sie hatte aus Versehen zu viel Schaum in die Wanne gegeben, nur ihr Kopf lugte noch hervor. Sie hatte, bevor sie in die Wanne stieg, zwei Scheiben Salami gegessen, eine Flasche Sekt aufgemacht und mit ins Bad genommen, ein volles Glas stand auf dem Rand. Sie rauchte genüßlich eine Zigarette, schloß die Augen, die Spannung fiel von ihr ab. Sie hielt die zu Ende gerauchte Zigarette kurz mit der Spitze ins Wasser, es zischte, legte den nassen Stummel in den Aschenbecher. Trank das Glas Sekt leer, schenkte sich nach. Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihrem Innern, vor allem aber in ihrem Kopf aus. Alles, was ihr jetzt zum Glück gefehlt hätte, wäre jemand gewesen, der mit ihr den Abend verbrachte. Am besten ein Mann, sie hatte lange keinen Mann in ihrem Bett gehabt, der ihren Körper in Erregung versetzte, sie kam sich allmählich wie eine alte Jungfer vor.
Sie blieb bis kurz nach acht in der Wanne, trocknete sich ab, betrachtete sich im bis zur Decke reichenden Spiegel von allen Seiten, vor allem aber im Profil, und war wie immer etwas unzufrieden mit ihrem Bauch, dieser vererbten Hängemasse, gegen die offenbar kein Kraut gewachsen war. Sie zog ihn ein und stellte sich vor, er würde immer so bleiben, aber sie hielt diese unnatürliche Stellung nicht lange durch, blies die angehaltene Luft mit kräftigem Druck aus und trocknete sich zu Ende ab. Zog einen winzigen Slip und ein gerade ihren Busen bedeckendes Shirt an, nahm Glas und Flasche und trank auf dem Weg nach draußen das Glas aus. Machte die Musik aus und drehte den Fernsehapparat laut. Nachrichten. Rechtsradikale hatten ein Haus angezündet, in dem zwei türkische Familien lebten, drei Tote, allesamt Kinder. Hilflosigkeit und Ratlosigkeit, leere Phrasen der Politiker, unbändige Wut und unendlicher Haß der betroffenen Angehörigen und Freunde. Für die nächsten Tage wurden Racheakte und Gewalttätigkeiten türkischer Gruppen erwartet. Regierung und Opposition in Bonn waren sich ausnahmsweise einmal einig, eine Diätenerhöhung mußte her, und zwar schnell. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien tobte weiter, sie hatte längst den Überblick verloren, wer hier gegen wen kämpfte, Serben gegen Kroaten, Kroaten gegen Bosnier, Bosnier gegen Serben... Sie bekam nur mit, daß wieder einmal, wie immer, vor allem die Schwächsten ihren Rücken herhalten mußten, Alte, Frauen, Kinder. Vor einigen Tagen hatte ein kurzer Bericht ihr das Wasser in die Augen getrieben, in dem ein siebenjähriges Mädchen gezeigt wurde, das gezwungen wurde, mit anzusehen, wie ihre Mutter und Schwester von Tschetniks auf bestialische Weise mißhandelt und vergewaltigt und schließlich vor ihren Augen getötet worden waren. Das Mädchen, ein hübsches Ding mit kurzen, braunen Haaren und großen, dunklen Augen, hatte ab da einfach aufgehört zu sprechen. Was immer sie gefragt wurde, sie sah nur stumm und leer durch die Menschen hindurch; sprechen wollte sie nicht mehr. Vielleicht war das ihre Art des Protests ge gen die aus allen Fugen geratene Welt. Als Julia Durant das sah, weinte sie, aus Mitleid und ohnmächtiger Wut. Schließlich Meldungen aus aller Welt, ein Tornado, der ein texanisches Städtchen verwüstet hatte, eine zu dieser Jahreszeit unerwartete Flutkatastrophe in Bangladesch, eine Frau, die Sechslinge zur Welt gebracht hatte, die allesamt lebten, zuletzt noch kurze Berichte von der Fußballbundesliga. Glücklicherweise kein Bericht über die Morde von Frankfurt, das hatten bereits einige der privaten Fernsehsender ausführlich behandelt. Schließlich die Lottozahlen, sie verglich ihre Zahlen, der Traum vom
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