Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
bringt Mutter richtig zur Weißglut, wenn sie immerzu nachfragen muss. Aber ihn bitten, lauter zu sprechen, kommt nie und nimmer in Frage, dazu ist Mutter viel zu höflich. Wenn er weg ist, beschwert sie sich dafür lauthals: «Kruzitürken noch mal, dass der Siegbert die Zähne nicht auseinanderkriegt!» Herr Siegbert bringt Mutter Blumensträuße mit und mir Kinderschokolade. Ich glaube, dass er mich mag und Mutter auch mit mir zusammen nehmen würde. Aber sie würde da nie und nimmer einwilligen. Obwohl ich Herrn Siegbert ganz gut leiden mag, kann ich mir nicht vorstellen, dass er mein Vater wird. Mutter sagt manchmal, dass Opa ganz rührend den Vater für mich spielt, aber eben doch nur der Großvater ist und einen richtigen Vater nicht ersetzen kann und mir die männliche Hand fehlt. Mutter denkt, dass ich meinen Vater unbedingt kennenlernen will und dass mir auch Geschwister fehlen, aber das stimmt nicht. Ich habe mich an alles gewöhnt, so wie sie ist, und außerdem hat man als Einzelkind den Vorteil, dass man nicht teilen muss.
Wir sitzen in der Küche und hören zu, wie Herr Siegbert nebenan das Klavier stimmt, und plötzlich gibt es ein riesengroßes Geschepper. Mutter stürzt ins Wohnzimmer und ich hinterher. Herr Siegbert ist kreidebleich, weil er das Kaffeegeschirr umgeschüttet hat. Er brummelt leise «Um Gottes willen», und ich sehe, dass sich Mutter kaum noch beherrschen kann. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass ihm dieses Malheur passiert.
«Was haben Sie gesagt? Ich kann Sie nicht verstehen, wenn Sie immer so leise reden!»
Jetzt hat Mutter doch die Beherrschung verloren! Vielleicht lernt Herr Siegbert seine Lektion und redet in Zukunft lauter und stellt vor allem seinen Kaffee nicht immer auf dem Flügel ab, sondern auf dem Tisch, der ist schließlich dafür da.
«Das wollte ich nicht, Frau Halfpape.»
Er steht auf, als ob er helfen wollte, aber er würde natürlich alles nur noch schlimmer machen, und Mutter macht eine Handbewegung, dass er sich wieder setzen soll. Das tut er dann auch und hockt wie ein begossener Pudel auf dem Klavierbock.
«Gleich schrei ich Kakao», sagt Mutter. «Scheiße» würde sie niemals sagen und schon gar nicht vor mir. Jetzt kommt auch Oma mit Eimer und Lappen, und zusammen wischen die Frauen den Teppich, und Mutter guckt zu Herrn Siegbert, damit der ja auch sieht, was für ein Schwein er ist mit dem Kaffee und den Zigaretten. Und der will Mutter heiraten! Niemals. Jetzt bin ich auch gegen Herrn Siegbert. Was bildet der sich überhaupt ein? Das ist schon ein Schauspiel, wie die Frauen den Fleck rausmachen und Herr Siegbert aus Verlegenheit weiterstimmt. Aber einen neuen Kaffee bekommt er heute sicher nicht mehr! Er klöppelt auch nicht mehr so laut, um Mutter nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. Schließlich ist der Fleck so gut wie raus, und wir gehen wieder nach nebenan in die Küche, und Oma fängt schon mal mit Essensvorbereitungen an. Es gibt Kasseler mit Salzkartoffeln und Blumenkohl. Ich finde, dass Blumenkohl langweilig schmeckt, außerdem stinkt die ganze Küche bis in den Abend hinein, aber Oma meint, Blumenkohl ist sehr gesund, und sie zählt auf, wie viele Vitamine drinstecken, obwohl man das von Blumenkohl gar nicht denkt, sondern in erster Linie von Obst. Es klopft an der Tür. Mutter sagt «Herein!», und Herr Siegbert kommt und stellt den vollen Aschenbecher auf den Küchentisch, auf dem Oma gerade das Essen macht. Dafür erntet er von Mutter wieder einen strafenden Blick. Herr Siegbert ist ganz durch den Wind. Dann bringt Mutter ihn noch zur Tür, wo er auch sein Geld bekommt. Ich weiß zufällig, dass es vierzig Mark sind. Ich finde das ganz schön unverschämt, Herr Siegbert nutzt aus, dass er der einzige Klavierstimmer weit und breit ist, auch wenn Mutter meint, alle Klavierstimmer nehmen so viel. Das kann ich mir kaum vorstellen. Von Rechts wegen müsste man den Teppich in die Reinigung bringen, und Herr Siegbert müsste das bezahlen von seinem königlichen Gehalt. Ich gucke aus dem Küchenfenster und sehe, wie er sich davonschleicht. «Guck mal, was für einen Buckel der macht», sagt Mutter, obwohl es gar nicht ihre Art ist, hämisch zu sein. «Der hat ja noch einen krummeren Buckel als ich», sagt Oma. Und: «Den Buckligen heilt nur der Tod.» Die beiden Frauen lachen aus allen Rohren, und ich lache mit.
Oma hat wirklich einen krummen Buckel. Opa nicht und Mutter sowieso nicht. Sie hat eine sehr gute Haltung und einen schönen
Weitere Kostenlose Bücher