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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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versucht, den Kopf zum Himmel, zu den Wolkenfeldern, zur Reinheit des Blaus zu heben. Warum denkt er nicht über alles nach, was er dort sieht? Wie die natürlichen Farben durch ihre Abstufungen, die Schmetterlinge durch ihre Kolorierung und ihre Formen so unterschiedlich sein können! Folge ihrem schönen Flug, schau dir an, wie sie sich auf lieblichen Blumen niederlassen, sieh dich um, vielleicht haben sich irgendwo Menschen versteckt! Vielleicht würde er in diesem Moment die Bäume sehen oder einen Schmetterling, der aufflattert und mit seinen Flügeln und dem Blütenstaub spielt. Wenn er dann merkt, dass es spät geworden ist und sein Kopf schwer zu werden beginnt, sollte er sich erheben, einen Stift aus der Tasche nehmen und etwas schreiben, auf die Rinde des nächsten Baumes oder auf die Erde zwischen dem Gras, irgendeinen Namen, vielleicht den Namen eines Mädchens, das er kennt oder nicht kennt, einen erfundenen Namen oder einen, den er in einem Lied im Radio gehört und der ihm gefallen hat, oder einen ganz anderen Namen.« Oder: »Da ist er wieder auf dem Heimweg. Traurig von seiner Reise in den Garten kehrt er zurück. Jetzt geht er auf der gepflasterten Straße und pfeift einen Gassenhauer. Er denkt nicht an seinen Bruder und dessen ständige Forderungen, mit denen er ihn wieder belästigt, sobald er das Haus betritt. Er ist eingenommen vom Anblick der Häuser, Läden und Geschäfte, an denen er vorbeikommt, vom Anblick der Menschen. Immer wird er die Stimmen der Menschen vernehmen, die seinen Namen rufen oder mit ihm scherzen. Er freut sich und fängt anzu hüpfen und zickzack zu laufen, seine Stimme zu erheben und ein Lied zu trällern, das allein er liebt. Und dann betritt er das Haus.«
    Jussif erinnerte sich, dass er jahrelang geübt hatte, sich abzuschotten von der Außenwelt, von diesem Zwiegespräch zwischen den beiden Personen, zwischen sich und seiner Seele, bevor er sich wieder vor sich selbst versteckte und in seinen Träumereien verlor. Oft sagte er sich, wie auch heute vor dem Betreten des Kinosaals, dass es zwei Sorten von Menschen gebe. Die erste Sorte behauptete, eine sichtbare Welt zu sehen, die sich außen befinde. Die zweite Sorte glaubte auch, eine sichtbare Welt zu sehen, aber diese befand sich in ihrem Inneren. Wenn Jussif sich fragte, zu welcher Sorte Menschen er gehöre oder gehören wolle, musste er zweifellos antworten: zur zweiten Gruppe. All sein vergangenes oder jetziges Handeln drückte den Drang nach diesem Ziel aus, selbst mitten im Chajjam -Kino. So wie er vor ein paar Stunden das Gebäude des Verteidigungsministeriums nicht hatte wahrnehmen wollen, das – in neuem Gewande – am selben Ort stand wie das alte Ministeriumsgebäude und in einen Platz überging, an dem Pferde, Esel und andere Tiere angehalftert waren und Vagabunden und Verrückte Zuflucht suchten, so betrat er auch die Chajjam-Straße. Es war, als wolle er nicht wahrhaben, dass diese Straße sich vollkommen verwandelt hatte. Es lag nicht daran, dass der CD-Laden verschwunden war, wo er die CD mit dem Lied »We never reached Georgia« gekauft hatte, die er jetzt in seinem Koffer mit sich trug, und dass sich jetzt an seiner Stelle ein Sexshop befand. Nein, die gesamte Straße war, wie viele Straßen in der Hauptstadt, gefährlicher geworden. An diesem Ort lagen die Brennpunkte, von denen aus die kriminellen Gruppen und bewaffneten Banden mit neuen Phantomnamen aufbrachen und in den Nachmittagsstunden andere Stadtviertel aufsuchten, um Angst vor Tod, Blut und Vergewaltigungzu verbreiten. Aber das hatte er nicht gesehen, sondern einfach die Straße bis zum Kinoeingang durchquert.
    Da bin ich wieder, dachte Jussif, als er sich erneut im Saal des Chajjam -Kinos sitzen sah. Er sah die Dinge klarer. Er entdeckte einen andersfarbigen, mit Plüsch bezogenen Sessel. Er betrachtete die Gemälde mit Naturansichten an den Wänden des Kinos und er sah wirkliche Landschaften. Er sah sie mit offenen Augen, aber er sah sie auch, wenn er die Augen schloss. Er schaute einen Film an, der vor ihm ablief, und gleichzeitig den Film einer früheren Vorführung. Also waren es zwei Filme, die vor ihm flimmerten. Der erste Film in Schwarzweiß, der zweite in Farbe.
    Eine kleine, ständig in Nebel gehüllte Stadt, in der sich das tägliche Leben wie gewohnt abspielt. Des Nachts, wenn die Menschen zu Bett gehen, beginnt ein Phantom durch die Straßen der Stadt zu schleichen. Außer seinem eigenen großen Schatten sieht der Zuschauer

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