Kains Erben
Alter recht gut zu uns passten. Drei Brüder waren es. Der strahlende Älteste vereinte in sich, was man sich für einen jungen Adligen nur wünschen kann: Schönheit, Charme und tollkühnen Mut, Brillanz mit dem Schwert wie mit dem Verstand und ein Wesen, das man vermutlich einfach lieben musste. Die Herzen der Mädchen flogen ihm zu wie Fliegenschwärme, und eine wie mich hätte er vermutlich nicht einmal bemerkt. Es war mein Glück, dass nicht er mein Herz gewann, sondern sein jüngster Bruder. Ein stiller Junge, der zu viel grübelte. Ein bisschen schmächtig und ein bisschen kränklich. Ein bisschen so wie ich.
Sprich mit mir über die Liebe, Amicia. Was zieht uns an, was bindet uns so fest an ein Geschöpf, dass wir zuweilen glauben, wir wären ohne es nicht fähig zu leben? Mein Geliebter und ich waren hinter den Ohren noch frühlingsgrün, aber wir waren entschlossen, einander zu heiraten. Stolz präsentierte er mich seinem Bruder, der ihm heller als die Sonne war, und der Bruder lachte und beteuerte, er werde uns mit Vergnügen seinen Segen geben. Meine eigene Familie sperrte sich jedoch dagegen, denn ich habe dir etwas verschwiegen: Die drei Brüder mochten in unseren Kreisen geduldet sein, doch sie waren keinesfalls erwünschte Bewerber um die Hände behüteter Töchter. Ihr Vater hatte sich im Baronenkrieg als Rebell gegen seinen König gestellt und war dafür aufs Schafott gegangen. Seine Söhne mussten mit der Last seiner Schande leben.«
Margaret machte eine Pause, um sich zu schnäuzen, und Amicia mühte sich, ihre Gedanken niederzukämpfen. Vor sich sah sie Menschen auf einer Brücke, die das Boot einer Königin mit faulem Obst bewarfen und Kinder an den Händen hielten, die irgendwann dafür bezahlen würden. Die Geschichte der Priorin hatte mit ihr und ihrem Leben nichts zu tun. Dennoch erfasste Amicia das beklemmende Gefühl, die Ereignisse von damals hätten das, was ihr geschehen war, mitbestimmt.
»Ich war sicher, alles würde sich finden«, fuhr Margaret ein wenig heiser fort. »Der älteste Bruder nahm mit solchem Schwung Menschen für sich ein, dass es ihm gewiss gelingen würde, die Ehre der Familie reinzuwaschen. Und dann würden mein Liebster und ich heiraten dürfen. Dass meine Mutter für mich ein Leben im Kloster im Sinn hatte, schreckte mich nicht, denn sie hatte alle Hände voll mit der Zukunft meines Bruders und der zerbrechlichen Ehe meiner Schwester zu tun und die Zeit würde gewiss alles richten. Dann zerbrach die Zeit. Ich habe dir noch etwas verschwiegen, nicht wahr?«
Amicia nickte. »Den dritten Bruder«, flüsterte sie.
»Den in der Mitte«, bestätigte Margaret. »Den, der nicht ganz so glänzend, nicht ganz so begabt und erst recht nicht so schön und liebenswert war wie sein Bruder. Der aber von brennendem Ehrgeiz beseelt war und wie kein anderer unter der Schande litt. Seinen älteren Bruder liebte er, wie jeder es tat. Vielleicht hat er sich nie etwas mehr gewünscht, als von diesem Bruder gelobt zu werden, vielleicht bemühte er sich deshalb mit schier übermenschlichen Kräften, beim König wieder Gnade zu finden. Dann aber waren mit einem Schlag all seine Bestrebungen zunichte, weil der vergötterte Bruder in des Vaters Fußstapfen trat. Im Verborgenen hatte er sich einer Gruppe junger Adliger angeschlossen, die der Meinung waren, die Erfolge der Rebellenbarone gingen nicht weit genug, mehr Rechte für das Parlament müssten festgeschrieben und die Regierungsgewalt des Königs müsste umfassender eingeschränkt werden. Im Verbergen war er jedoch nie gut gewesen. Was er dem mittleren Bruder damit antat, hat der älteste Bruder vermutlich nicht einmal gewusst. Der hatte bereits verkraften müssen, der Sohn eines Verräters zu sein. Einen Bruder als Verräter zu haben war mehr, als er ertragen konnte.«
In der Stille prasselte das Feuer. Hatte Amicia geschwitzt, als sie den Raum betrat, so klapperten ihr jetzt die Zähne. Weshalb wusste sie, wie diese Geschichte weiterging? Weshalb kannte sie ihr entsetzlich trauriges Ende? »Hat er …?«, hob sie an und verstummte, als Margaret nickte.
»Ja, er hat ihn getötet. Aus seiner Sicht hat er damit vielleicht nur getan, was wir alle zu tun versuchen: das, was er für das Richtige hielt. Er hat seinen König von einem Verräter befreit und seiner Familie, seinem kleinen Sohn, neue Schande erspart. Wer weiß. Was übrig bleibt, wie man es auch dreht und wendet, ist die Sünde des Brudermordes. Die Sünde, für die Gott
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