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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Gott geschlossen wie der ärgste Ketzer: Ich habe geschworen, wenn er Herrn Matthew heilt, schicke ich dich mit ihm auf den Weg.«
    »Und wenn er gestorben wäre?«
    »Nun, er ist nicht gestorben. Ich muss meinen Teil des gotteslästerlichen Handels einlösen.«
    »Aber ich bin kein Handelsgut!«, brach es aus Amicia heraus. »Ich will nicht mit ihm gehen, er ist mir zuwider, und wenn wir beide aus irgendeinem mysteriösen Grund in Gefahr sind – wie könnt Ihr uns dann zusammen ziehen lassen? Das ist, als wolltet Ihr uns den Mördern auf einem Tablett ausliefern!«
    »Ich muss mich über dich wundern«, erwiderte Randulph. »Ich dachte, man hätte dich gelehrt, deinem Herzen keinen Aufruhr zu gestatten. Füge dich, Amsel. Du gehst mit Sir Matthew, sobald er reisefähig ist. Er hat Geschäfte in London, aber anschließend bringt er dich nach Fountains Abbey, wo man sich deiner annehmen wird. Ihr bringt einander Schutz, nicht Gefahr. Solange ihr beieinander seid, werden die Feinde des einen um des anderen willen nicht wagen, ihn anzurühren.«
    Über die verwirrte Rede wollte Amicia jetzt nicht nachdenken. Es trieb sie zur Weißglut, dass Randulph über ihr Schicksal entschied und dabei ungerührt in das Buch starrte. »Ich will hier nicht fort!«, rief sie, vermutlich lauter, als die alten Mauern es je vernommen hatten. »Meine Heimat ist hier.«
    »Waren wir uns nicht einig, dass Quarr nicht deine Heimat sein kann?«
    »Aber Ihr habt mich zu Euch genommen!« Zornig bemerkte sie, dass Tränen ihr die Stimme raubten. Ohne Besinnung sprang sie auf ihn zu, packte seinen Arm und riss den hageren Körper zu sich herum. Er starrte sie mit nacktem Entsetzen in den Augen an. »Ihr habt mich doch gern bei Euch«, rief sie, »Ihr habt mich doch lieb!«
    Mit einer Kraft, die sie dem ausgezehrten Mönch nicht zugetraut hätte, riss er sich frei und stieß sie von sich. Amicia taumelte mehrere Schritte weit und prallte gegen die Wand.
    »Nie wieder, hörst du?« Drohend hob er einen Finger. »Nie wieder erlaube ich, dass du dich so vergisst.«
    Hätte er sie mit Bestimmtheit und Ruhe unterwiesen, wie sie es gewohnt war, so hätte sie ihm vielleicht gehorcht. Dass man ihr drohte, war ihr jedoch unbekannt, und dass man ihr Gewalt antat, erst recht. Der Drang, auf ihn zuzugehen, war unwiderstehlich, und im Schritt fiel ihr Blick auf das Buch. »Was ist das überhaupt!«, rief sie, ohne nachzudenken. »Dieses Buch, das Ihr fortwährend anstarren müsst, derweil Ihr mir den Garaus macht!«
    Randulph blickte von dem Buch auf und ihr geradewegs ins Gesicht, was er sonst vermied. »Wird uns deshalb angeraten, die Frauen im Trivium, vor allem in der Rhetorik, nicht zu unterweisen? Weil wir der Haltlosigkeit ihres Mundwerks nicht gewachsen sind?« Seine Hand ruhte noch immer auf der Seite des Buches. »Ich mache dir keineswegs den Garaus. Dass du jedoch nicht selbst beurteilen kannst, was dir guttut, ist nicht deine Schuld. Das Buch ist des Anstarrens wert. Es ist eine prachtvolle Abschrift des Leben des Becket , die John of Salisbury, der Vertraute des heiligen Thomas, ihm zum Gedenken verfasste.«
    Amicia schauderte. Warum lief alles heute auf Mord und Blut hinaus? Thomas à Becket, der heilige Thomas, war Erzbischof von Canterbury gewesen, der höchste Kleriker des Landes, doch sein rebellischer Geist war seinem König ein Stachel im Fleisch. Im Zorn ließ der König sich hinreißen, sich lauthals Beckets Tod zu wünschen, und eine Handvoll übereifriger Ritter drang in die Kathedrale ein und erfüllte den unbedachten Wunsch. Im Gebet, an heiliger Stätte, war Becket durch Mörderhand gefallen. Das Schaudern wurde stärker, und als Randulph das Buch zu ihr herüberschob, wollte Amicia die Augen schließen, doch ihre Lider versagten ihr den Dienst. Sie musste den Blick auf die Seite senken, auch wenn es ihr die Luft abwürgte.
    Das Bild war mit einem kostbaren Goldgrund unterlegt. »Drachenblut« hieß das Harz, aus dem das brennende Rot gewonnen wurde, das Amicia entgegensprang. Ein Mann kniete auf einer Erhöhung, einer Altarstufe oder einer niedrigen Mauer. Er hielt den Kopf gesenkt, den Nacken zum Gebet gebeugt, in einer Geste von Demut und Vertrauen. Ohne sich darum zu scheren, drangen Bewaffnete mit Schwertern von hinten auf ihn ein. Er würde fallen. Stürzen. In der Schwärze des Todes versinken, derweil ein fühlloser Gaffer seine letzten Herzschläge zählte.
    Sieben, acht, neun, zehn. Die Zahlen hämmerten gegen Amicias

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