Kalte Macht: Thriller (German Edition)
stellte schmallippig fest: »Ja. Gibt es auch.«
»Genauso eines würde ich gerne haben. Könnten Sie mir davon ein Doppel machen lassen, das ich morgens auf meinem Schreibtisch habe?«
Britta Paulus sog scharf die Luft ein. Es war deutlich, dass ihr die Idee missfiel. Doch sie wusste natürlich, dass sie dem Wunsch nicht widersprechen konnte. »Klar. Können wir machen. Papier oder PDF ?«
»Beides«, antwortete Natascha schnell. So würde sie nicht nur über alles, sondern auch überall informiert sein. »Großartig. Danke.«
»Gern geschehen«, log die Paulus. Und sie gab sich keine Mühe, das zu verbergen.
Königstein/Taunus, Le-Cannet-Rocheville-Straße, 31.10.1989, 8:37:30 Uhr.
»Achtung. Zielobjekt jetzt in die Limburger Straße eingebogen. Noch 1,9 Kilometer vom Einsatzort entfernt.«
»Bitte Bestätigung, dass voranfahrendes Fahrzeug nicht mehr dabei ist.«
»Nummer eins ist draußen. Zielobjekt ist jetzt der erste Wagen.«
»Geschwindigkeit?«
»Genau im Plan.«
»Verkehrslage?«
»Wenig Verkehr. Keine besonderen Vorkommnisse. Sobald die Wagen in Sicht kommen, unterbrechen wir den umgebenden Verkehr durch eine verlängerte Rotphase.«
»Alles klar. Over.«
»Over.« Das Funkgerät knackte, dann war die Verbindung unterbrochen. »Okay, Leute, wir haben noch drei Minuten. Ritter sitzt im ersten Wagen.«
8:38:00 Uhr. Ein Bauarbeiter geht neben einem seit einigen Tagen am Fahrbahnrand stehenden Baustellenschild in die Hocke. Er winkt seinem Kollegen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu.
VIER
D a s Bundeskanzleramt war untergliedert in sechs Abteilungen. Jede dieser Abteilungen wurde von einem Ministerialdirektor geleitet und war in jeweils mehrere Gruppen unterteilt, in denen wiederum mehrere Referate angesiedelt waren. Daneben gab es das Kanzlerbüro und das Büro des Kanzleramtsministers, die beide in mehrere Bereiche unterteilt waren. Und es gab die Staatssekretäre und die ehrenamtlichen Beauftragten der Bundesregierung, deren Wirken ebenfalls dem Bundeskanzleramt unterstand und dort koordiniert wurde.
Ein schwer zu durchblickendes und noch schwerer zu durchdringendes Gewirr von Zuständigkeiten und Kompetenzen. Einige der Abteilungen und Referate kannte Natascha bereits von ihrer Arbeit in den Bundestagsausschüssen. Es gab Bereiche, die gleichermaßen geheimnisvoll und wichtig klangen, ohne aber eindeutig definierbar zu sein. Das Referat »324 Nachhaltige Entwicklung« war so eines. Was sollte da nachhaltig entwickelt werden? Der zuständige Referent unterstand der Abteilung für Soziales, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Infrastruktur und Gesellschaft. Letzteres war natürlich alles und nichts. Konnte jemand, dessen Referat für alles und nichts stand, in einer Abteilung, die für alles und nichts stand, notwendig sein? Konnte er wirksam sein? Wurde er ernst genommen? Oder war eine solche Position vielleicht sogar die einflussreichste von allen, weil ihr Inhaber sich in alles einmischen konnte?
Auch gab es in der Struktur des Kanzleramts diverse Posten, die sich mit »Sonderaufgaben« auseinanderzusetzen hatten. Waren das Mädchen für alles, oder waren es graue Eminenzen? Wie konnte ein Haus, in dem es fünfundvierzig Referate gab, aufgeteilt in vierzehn Gruppen und sechs Abteilungen – dazu ein halbes Dutzend Beauftragte, ein weiteres halbes Dutzend zusätzliche Bereiche in den übergeordneten Büros sowie nochmals ein halbes Dutzend intern für die Organisation zuständige Beamte –, noch Lücken lassen für »Sonderaufgaben«? Natascha war sich sicher, dass es bei dieser Bezeichnung nicht darum ging, jemanden als »Feuerwehr« in unvorhergesehenen Fällen einsetzen zu können, sondern darum, bestimmte Tätigkeitsbereiche nicht zu benennen, um der Öffentlichkeit dafür nicht Rede und Antwort stehen zu müssen. Sie beschloss, sich einen der betreffenden Referenten, den sie zufällig aus einem Meeting im Verteidigungsausschuss kannte, genauer anzusehen: Dr. Beck aus dem Referat 411: »Wirtschaftspolitische Grundsatzfragen; Wirtschaftsentwicklung; Sonderaufgaben«.
Sein Büro lag im vierten Stock am anderen Ende des langgezogenen Bauwerks. Ein Spaziergang von zehn Minuten von Nataschas Arbeitsplatz aus. Sie beschloss, sich nicht anzumelden, sondern auf gut Glück aufzutauchen, und ging die in dezentem Blau und Nussbaum gehaltenen Flure des Kanzleramts entlang, ohne auch nur einem Menschen zu begegnen, den sie kannte. Da sie mehrere Schleusen mit ihrer Sicherheitskarte öffnen
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