Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Während ich Caruso Frühstück mache, Kaffee koche und Toastscheiben röste, frage ich mich ernsthaft, was eigentlich in mich gefahren ist, einfach irgendeinen Typen von der Straße gleich am ersten Abend mit nach Hause zu nehmen! Ich habe so was noch nie gemacht, und ich hätte auch nie geglaubt, dass mir so was mal passieren könnte!
»Hallo …« Severin steht plötzlich hinter mir und sein Atem streift meinen Hals, sodass sich meine Nackenhärchen aufrichten und auf meinem Rücken für Gänsehaut sorgen. Ich habe ihn gar nicht in die Küche kommen gehört, so gedankenversunken war ich.
»Hey …«, antworte ich, ohne mich umzudrehen.
»Wenn du dich nicht wohlfühlst, kann ich auch einfach gehen«, schlägt er mit morgenrauer Stimme dicht an meinem Ohr leise vor, und ich spüre seine unrasierte Wange an meinem Gesicht entlangstreichen. Irgendwie wird mir schwindelig. Ob das noch am Alkohol liegt? Oder daran, dass ich noch nichts gegessen habe? Oder einfach nur daran, dass gerade ein Paar warme Hände an meiner Taille liegen?
»Nein, bleib hier!« Meine Hände wandern zu seinen und halten sie fest – und ich muss über meine eigene Reaktion staunen. Bin ich letzte Nacht einer Gehirnwäsche unterzogen worden? Normalerweise muss ich einen Mann schon relativ lange kennen, um so zu werden, wie ich es jetzt gerade bin, nämlich ziemlich verwirrt, irgendwie leicht benebelt und bei Anwesenheit des anderen ständig herzrhythmusgestört. Ich drehe mich zu Severin um und lehne mich gegen die Küchenzeile. Er lächelt mich an, und die Morgensonne, die durch das Fenster hereinscheint, funkelt in seinen Augen. Fasziniert beobachte ich die kleinen grauen Sprenkel, die durch das Licht ganz plötzlich in seiner blauen Iris aufgetaucht sind.
»Übrigens …«, höre ich seine Stimme plötzlich sagen und löse mich widerwillig von diesem herrlichen Anblick, »… ich glaube, dass du auch einen ganz falschen Eindruck von mir hast.«
»Ach, echt?«, frage ich erstaunt.
»Echt.« Er schiebt sich noch ein Stück näher an mich heran. »Du denkst bestimmt, ich würde jeden Abend auf der Straße rumhängen und hübsche Frauen aufreißen, die ich dann in irgendeiner Kneipe abfülle und dann mit zu ihnen nach Hause komme.«
»Stimmt das etwa nicht?« Ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch.
Er schüttelt langsam den Kopf. »Nein, ich mach so was eigentlich nicht. Ich bin nicht so der Womanizer.«
»Ja, klar .« Ich muss grinsen und schüttele den Kopf. Dann betrachte ich einen Moment das goldene Schimmern seiner Haare, als sich die Sonne darin bricht. Und dann stelle ich mich auf die Zehenspitzen, schließe die Augen und recke ihm leicht mein Gesicht entgegen. Er lacht leise, und schon spüre ich ganz zart seinen Mund auf meinem. Für einen kurzen Moment, der nicht länger als ein Wimpernschlag dauert, flammt Jans geliebtes Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Und gerade, als es auch schon wieder erlischt, meldet sich blitzartig noch ein anderes Gefühl: das Erstaunen darüber, dass die Erinnerung an Jan gerade kein bisschen wehgetan hat.
Ein paar Stunden später bin ich wieder alleine in meiner Wohnung – na ja, bis auf Caruso. Die Sonne ist bereits ein Stück weitergewandert und fällt jetzt schräg in mein Schlafzimmer. Mein Hund liegt ausgebreitet in dem einzigen Fleck, den die Sonne auf den Boden malt, die Pfoten weit von sich gestreckt, die Augen genießerisch geschlossen und das bisschen Wärme, welche die Wintersonne verbreitet, mit jeder Faser genießend. Sein schwarzes, glattes Fell schimmert wie Samt, nur unterbrochen von dem kleinen weißen Mal auf seiner Brust. Ich betrachte ihn bei seiner ganz persönlichen Sonnenanbetung, während ich nachdenklich auf dem Rand meines Bettes sitze.
Mein Kopfkissen duftet immer noch nach einem für mich fremden, aber gut riechenden Aftershave, anstatt nach Motoröl, Duschgel und Erdnusskrokant. Auf meiner Haut kann ich immer noch Männerschweiß wahrnehmen – aber nicht den von Jan. Und mein Gesicht wurde zwar von Bartstoppeln wund gerieben, aber es war nicht der Dreitagebart, der jeden Morgen im Overall unser Treppenhaus hinunterstiefelt und immer versehentlich die Haustür zu laut ins Schloss fallen lässt. Wenn ich jetzt an Severin denke, dann muss ich lächeln und verspüre ein komisches Gefühl von Sehnsucht, anstatt einem schlechten Gewissen und möglicher Reue. Und wenn ich an Jan denke? Dann zieht es auch in mir, aber anders. Dann ist da eine Art Wärme, die in mir
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